092 – „Gekränkte Freiheit“ von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey

In „Gekränkte Freiheit“ entwickeln Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey einen Erklärungsansatz für das Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremistischer politischer Einstellungen. Sie sehen die Ursache dafür in erster Linie in den überzogenen Versprechen individueller Freiheit, die durch den real existierenden Kapitalismus aber nicht eingelöst werden können. Dies wiederum löst eine Kränkung aus, weswegen sich die Menschen gegen das bestehende System wenden.

Transkript (automatisch erstellt)

Music:
[0:00] Music

Amanda:
[0:17] Hallo und herzlich willkommen zur 92. Folge von Zwischen zwei Deckeln. Ich bin Amanda und habe heute Nils mit dabei.

Nils:
[0:26] Hallo zusammen.

Amanda:
[0:28] Uns ist gerade aufgefallen, dass ich jetzt zum vierten Mal in Folge hier dabei bin. Deswegen habe ich gedacht, ich ziehe mir ein bisschen eine Erkältung zu, damit er auch zumindest von der Stimme her ein bisschen eine Modulation hört. Nee, Quatsch. Also ich freue mich sehr, heute Nils zuhören zu dürfen. Und ihr kennt das ja, wir beginnen ein bisschen so, womit wir uns aktuell beschäftigen. Und tatsächlich bin ich nicht so ganz zum Lesen gekommen in der letzten Zeit. Habe aber was ganz Cooles hier aufgesetzt gekriegt von meinen Freunden. Und zwar haben wir einen Chat, in dem wir uns jetzt so gegenseitig interessante Artikel zusenden. Und man kennt das so ein bisschen aus der Wissenschaft. Da teilt man halt so Publikationen und hat so geteilte zum Beispiel Literaturlisten und so weiter. Und ich hatte das bisher nicht so im Freundeskreis und es passiert ja schon oft, dass man dann diskutiert man über was und jemand hat da was gelesen oder einen Podcast gehört. Und jetzt haben wir das so aufgesetzt in einem Chat und ich finde das echt mega cool. Das ist so eine demokratisierte, geteilte Wissensbasis eigentlich.

Nils:
[1:34] Das ist ein cooles Konzept, da ich beruflich Wissensmanagement mache, finde ich das natürlich immer spannend.

Amanda:
[1:40] Ja, also ich kann das sehr empfehlen, dass man sich da sowas zutut mit interessierten Freundinnen und Freunden, also das ist echt bereichernd.

Nils:
[1:50] Ich würde jetzt sagen, dafür habe ich Mastodon, aber ja, das macht natürlich nochmal was anderes, wenn es persönlich bekannte Menschen sind.

Amanda:
[1:57] Ich finde schon, es ist so, je länger, desto mehr finde ich so wieder das persönlich Kuratierte einfach unschlagbar. Also wenn man jemanden kennt und auch abschätzen kann, ob das der Person passt oder nicht, dann finde ich das echt, das sind die besten Empfehlungen.

Nils:
[2:12] Ja, definitiv.

Amanda:
[2:14] Was steht bei dir an, Nils?

Nils:
[2:15] Ja, tatsächlich gelesen, klappt in letzter Zeit ganz gut. Ich habe jetzt auch passend zu diesem Buch letzte Woche gelesen von Mark Fischer, Capitalist Realism. Ich weiß nicht, ob dir das was sagt. Das war wohl in UK, Ende der 2000, der Nullerjahre, wie man so schön sagt. So ein bisschen ein gehyptes Buch und ich fand es auch tatsächlich ganz cool. Es ist ein relativ kurzes Büchlein von 100 Seiten. und es geht vor allen Dingen darum, wie wir uns gar keine andere Gesellschaft als die kapitalistische mehr vorstellen können und wie wir da hingekommen sind und was das für Konsequenzen hat und das schließt tatsächlich auch ziemlich gut an das Buch an, was ich euch heute vorstellen möchte, deswegen passt das ganz hervorragend.

Amanda:
[2:59] Perfekt, ja das Buch, das du uns heute vorstellst, das nennt sich gekränkte Freiheit, ist geschrieben von Caroline Amlinger und Oliver Nachtwey Und ich kenne das schon sehr gut aus den Bücherregeln, weil das hat so ganz ein prägnantes Cover mit so weiß und so einem gelben Kreuz darauf. Ist nicht mehr ganz so neu. Das ist 2022 bei Surkamp erschienen. Und die Autorin ist Literatursoziologin an der Uni Basel. Und Nachtwey ist Professor der Sozialstrukturanalyse, auch an der Uni Basel. Ich weiß nicht ganz genau, was das ist oder was das bedeutet, aber beide sind wohl an der Uni tätig, sind SoziologInnen und deswegen bin ich sehr erfreut, dass du uns das Buch vorstellst. Ich bin vielleicht nicht ganz die perfekte Zuhörerin dafür, da müsst ihr wohl Christoph fachlich unterstützen, aber trotzdem, ich höre dir sehr gerne zu.

Nils:
[3:58] Ja, immer gerne. Und ich glaube, das Buch profitiert davon, wenn nicht nur FachexpertInnen in dem konkreten Thema und der konkreten Disziplin sozusagen darüber reden. Dann gewinnt das nochmal an Verständlichkeit.

Amanda:
[4:14] Sehr gut. Ja, magst du uns das TLDA geben?

Nils:
[4:17] Ja, sicher, sehr gerne.

Nils:
[4:24] In gekränkte Freiheit entwickeln Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey einen Erklärungsansatz für das Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremistischer politischer Einstellungen. Sie sehen die Ursache dafür in erster Linie in den überzogenen Versprechen individueller Freiheit, die durch den real existierenden Kapitalismus dann aber nicht eingelöst werden können. Dies wiederum löst eine Kränkung aus, weswegen sich die Menschen gegen das bestehende System wenden.

Amanda:
[4:56] Okay, das klingt hochaktuell.

Nils:
[4:58] Genau, ja, ja, also du sagtest gerade, das Buch ist ein bisschen älter, aber es ist ehrlich gesagt, ja okay, die Beispiele, es wird vielleicht heute andere, bessere Beispiele geben, aber an der inhaltlichen Argumentation hat sich sehr, sehr wenig geändert, die hat sich eher weiter bestätigt, insofern ist das definitiv hier keine Schwäche des Buchs.

Amanda:
[5:19] Okay.

Nils:
[5:21] Gut, ja. Ein paar Vorworte zum Buch. Ich habe, das ist glaube ich so das Buch, wo ich am meisten habe, puzzeln müssen, um irgendwie die Stränge, die so da durchziehen, durch die verschiedenen Kapitel so zusammenzufügen, dass sie irgendwie einen konsistenten Argumentationsstrang geben. Also ich glaube, ich habe noch kein Buch gehabt, wo ich so das Gefühl hatte, die sagen irgendwie in jedem Kapitel zu zehn Argumentationssträngen jeweils einen Schritt, anstatt einfach mal einen Strang durchzugehen und dann den nächsten Strang durchzugehen. Entsprechend ist es von der Struktur her, orientiere ich mich jetzt wenig an der Struktur des Buchs, sondern habe eher versucht, da mal so eine Argumentationsstruktur durchzubringen, weil die ist tatsächlich, finde ich, sehr überzeugend und sehr hilfreich zumindest, auch wenn sie, ja, es ist halt sehr soziologisch-theoretisch, es kommt auch aus einer gewissen marxistischen Lesart. Und das sind ja so Texte, die dazu neigen, nicht immer die zugänglichsten zu sein. Deswegen auch nochmal ist es vielleicht sogar ganz gut, dass du die Fragen stellen kannst, die wir SoziologInnen glauben, verstanden zu haben. Und dass es dann meistens aber die besten Fragen sind.

Nils:
[6:32] Genau, also ich habe die Grundthese gerade im TLDL schon angetickt, ich werde die jetzt noch ein bisschen aufmachen natürlich und einen Punkt, den man ein bisschen vorweg schicken will, was den beiden ganz, ganz wichtig ist, dass sie sozusagen einen Gleichklang oder einen engen Zusammenhang sehen zwischen Fortschritt und Regression. Also zwischen, es entwickelt sich an vielen Stellen weiter, es wird für viele Menschen besser, es wird vieles besser, aber gleichzeitig birgt diese Entwicklung sozusagen auch ihren eigenen Rückschritt wieder in sich. Das ist so eine Doppelung, sie nennen das regressive Modernisierung, dass wir eben nicht ein, wie man das klassisch-historisch, so ein historisches Bild, alles wird irgendwie immer besser. So eine Zeit kommt der Fortschritt oder wie war das, der Bogen der Weltgeschichte ist lang, aber er tendiert Richtung Freiheit oder was das war. Ich glaube, es war Martin Luther King, der das mal gesagt hat. Und die beiden sind da halt ein bisschen

Nils:
[7:37] Skeptischer oder kommen halt eher von so einer Perspektive, es ist immer beides irgendwie da, beides gleichzeitig und wenn die Modernisierung beschleunigt, dann wird auch die Regression stärker und schärfer, weil eben Konflikte aufbrechen, weil eben ja einfach, wenn sich Dinge verändern, haben wir Menschen dann doch auch ab und an mal ein Problem damit. Genau, das so ein bisschen vorweg geschickt. Ich habe so ein bisschen überlegt, was ist so das eine zentrale Argumentum, dass sich fast alles rankt und bin dann lustigerweise bei einer Songtextzeile gelandet aus einem Song von ach, jetzt habe ich vergessen, wie die Band heißt, das ist natürlich ganz clever das kann ich mal kurz nachgucken, die Zeile ist auf jeden Fall Give me something to believe in this hell you call a dream genau, das ist von The Warning aus dem Lied

Nils:
[8:31] Wie das Lied heißt, weiß ich nicht, es ist vom Album Keep me fed. Und dieser Satz, also give me something to believe in this hell you call a dream, gerade dieser zweite Teilsatz in this hell you call a dream, das beschreibt, glaube ich, so das Kernargument von Armlinger und Nachtweih sehr, sehr gut, weil es eben, weil wir auf der einen Seite ein Gesellschaftssystem haben, dass sich Freiheit ganz, ganz groß auf die Fahnen geschrieben hat, dass sich auch Individualismus ganz, ganz groß auf die Fahnen geschrieben hat, individuelle Selbstverwirklichung, es wird immer alles besser und besser und Fortschritt und Freiheit. Diese Freiheit existiert, wenn man genau hinguckt, aber erstmal mehr oder weniger nur auf dem Papier. Oder in der Rhetorik. Das, was viele, viele, viele Menschen, die allermeisten Menschen faktisch erleben, ist in gewisser Weise eine Art der, da kommt jetzt der Marxismus durch, der Unterdrückung durch den Kapitalismus. So. Das heißt, wir haben ein System, was Freiheit verspricht, aber nicht liefert.

Amanda:
[9:31] Machen Sie eine Definition von Freiheit? Was verstehen Sie darunter?

Nils:
[9:37] Jein, also Sie sind sich sehr dessen bewusst, dass man darunter sehr viele verschiedene Dinge verstehen kann. Ich weiß gar nicht, ob Sie an der Stelle so viel von Freiheit reden. Das Buch heißt schon gekränkte Freiheit. Sie machen nicht selber einen Begriff von was Sie unter Freiheit verstehen, sondern Sie diskutieren eher, was Menschen unter Freiheit verstehen. Okay. Also Sie an der Stelle reden, Sie viel von individueller Selbstverwirklichung und all diesen Methoden. Sie kommen dann, ich komme da auch gleich noch zu dem Thema, zu der Freiheit konkret hin.

Nils:
[10:11] Wir haben halt irgendwie dieses individualisierte System, das uns aber dann durch seine Dynamiken, durch sein Funktionieren, im Grunde zu einer Konformität zwingt und wo wir ständig an irgendwelche Grenzen stoßen. Ich würde das jetzt gerne machen. Das ist das, was ich machen will, aber dann erlaubt mir dieses System das nicht. Das ist ein ständiges an Grenzenstoßen in einem System, was irgendwie die große Freiheit verspricht, was auch Selbstwirksamkeit verspricht. Du kannst es schaffen, du kannst es ändern, aber wenn man es dann versucht, hat man dann nicht wirklich irgendwie eine Chance, was zu tun. Erfährt diese Selbstwirksamkeit halt nicht tatsächlich. Und auch die ganzen Optionen, die man hat, Und ja, man hat vielleicht viele Optionen, aber man wird eben doch auch dafür bestraft, also ich bin jetzt ein bisschen in dieser marxistischen Rhetorik, man wird eben auch dafür bestraft, wenn man die falsche Wahl trifft. Man wird eben dafür bestraft, wenn man Literaturgeschichte studiert und Gedichte schreiben möchte. Ja, man hat die Wahl, das zu tun, aber das hat sehr viele Konsequenzen auf das Leben und auf das, was man sonst noch so tun kann im Leben potenziell. Aber

Nils:
[11:23] Dazu kommt dann auch, das fand ich auch ein schönes Beispiel, dass wir in diesem System auch, das ist jetzt eine Entwicklung der letzten 20, 30 Jahre, dass sowas wie Aufstieg nicht mehr wirklich planbar ist. Das ist jetzt eine Entwicklung, wenn man so den klassischen 50er, 60er, 70er Jahre Kapitalismus hat, wo man eben durch konstantes Arbeiten, durch gutes Arbeiten im Unternehmen aufsteigen konnte, irgendwie eine gewisse Sicherheit hatte,

Nils:
[11:47] Auf die man irgendwie sich verlassen konnte. Also das gibt es in dem Fall, in diesem Maße nicht mehr.

Nils:
[11:56] Was unter anderem dazu führt, das ist jetzt eher Nebenstranken, aber den fand ich ganz spannend, dass so Abkürzungen interessant werden. Sowas wie, ich will YouTuber werden oder ich will Popstar werden oder so, dass das auf einmal interessant klingt. Weil wenn ich mich durch ehrliche Arbeit in irgendeinem klassischen Beruf sowieso nicht nach oben arbeiten kann, dann kann ich auch versuchen eine Abkürzung zu nehmen. Oder es wirkt irgendwie realistischer. Also das fand ich ein spannendes Nebenargument. Und wir haben auf der einen Seite diesen Punkt, dass der Aufstieg nicht mehr planbar ist. Auf der anderen Seite haben wir aber auch den Punkt, dass es im Grunde keinen, nicht wirklich einen sicheren Rückfallpunkt mehr gibt wie eine Normalbiografie. Also dass man sagt, ja, ich werde jetzt vielleicht nicht aufsteigen und Abteilungsleiter werden, aber wenn ich hier meinen Job mache, bin ich für die 30 Jahre meines Berufslebens, muss ich mir zumindest ökonomisch keine Gedanken darum machen. Was wir stattdessen haben, ist irgendwie dieses Versprechen, du kannst dich selbst verwirklichen, aber du musst dich halt auch ständig irgendwie in dem System halten und irgendwie neu erfinden und neue Wege finden, weil das, was du die letzten drei Jahre gemacht hast, das braucht jetzt keiner mehr. Und es verändert sich halt alles in einem ganz anderen Tempo. Das ist so ein bisschen dieses Unsicherheitsgefühl. Ich habe mich da auch so ein bisschen an Hartmut Rosa erinnert gefühlt, mit seiner, wie heißt das, dynamischen Stabilisierung. Man muss in Bewegung bleiben, damit man nicht zurückfällt. Und das ist so ein bisschen das System, was einen dazu sehr viel zwingt und gleichzeitig eben große Freiheit verspricht.

Amanda:
[13:25] Okay.

Nils:
[13:27] Der damit eng verbunden ist auch, dass wir sehr gut darin sind oder eigentlich als Gesellschaft mittlerweile so denken, dass gesellschaftliche Probleme zu individuellen Problemen werden. Also nicht die Gesellschaft ist dafür, es verändert sich mittlerweile ein bisschen, aber nicht die Gesellschaft ist dafür verantwortlich, dass Menschen im Rollstuhl irgendwie öffentliche Gebäude betreten können, sondern die sollen sich halt selber darum kümmern, wie sie das hinkriegen. Oder du bist in Armut, ja, dann hast du wohl was falsch gemacht. Oder du bist krank geworden, ja, dann hast du wohl die falsche Medizin gewählt und warst nicht bei den richtigen Ärzten. Also diese Individualisierung von gesellschaftlichen Schwierigkeiten, gesellschaftlichen Problemen, was auch einfach dazu führt, dass man es als Individuum immer schwieriger wird, sozusagen mildere Umstände für sich gelten zu machen. Da sind sie nicht so ganz klar, weil ich finde, da ist so, dass das europäische Gesellschaftsbild schon noch ein anderes als das US-amerikanische und beide sind ja eigentlich, ich weiß jetzt nicht, ob sie ursprünglich Schweizer oder Deutsche sind, also sie kommen ja eigentlich aus dem europäischen Kultursystem und da finde ich, überziehen sie dieses Argument ein kleines bisschen, aber ich glaube, die Tendenz ist zumindest in gewissen Bereichen definitiv da.

Nils:
[14:42] Und wo sie dann hinkommen bei dieser Individualisierung des Scheiterns dass das zwei Dinge ganz stark stärkt, die dann sich nachher irgendwie die uns, die zum Problem werden sozusagen, das sind Gefühle von Scham und von Schuld ich bin selber schuld und ich schäme mich dafür dass ich irgendwie arm bin oder und das führt zu drei unterschiedlichen Arten von Gefühlen, da differenzieren sie jetzt Das fand ich ganz spannend. Da greifen sie auch irgendjemanden auf, ich weiß aber gerade nicht mehr wen. Groll, Zorn und Ressentiment. Das fand ich eine sehr schöne Unterscheidung, sie differenzieren das tatsächlich.

Nils:
[15:21] Während der Groll so ein bisschen dann in den Punkt geht, ich will nicht länger das Opfer sein, ich will irgendwie selber ins Handeln kommen, ich will mich von diesem System nicht so zwingen lassen. und der richtet sich dann im Grunde nach oben, so auf das System, auf die Eliten. Dann haben wir den Zorn, der richtet sich dann schon so ein bisschen konkreter auf irgendetwas ganz Konkretes, auf die Grünen, wenn wir das jetzt in Deutschland mal sehen. Und dann haben wir das Ressentiment, das ist so ein verallgemeinertes Gefühl der Missgunst. Also das ist das, was man jetzt eben im Kontrast in der Diskussion um Migration und so weiter dann erlebt und gefühlt so dieses verallgemeine Gefühl, das sind die, die nehmen uns das weg, die haben das, was wir eigentlich kriegen sollten oder die sind verantwortlich dafür, dass wir das nicht kriegen, warum auch immer und das ist so ein bisschen, das sind so diese drei Gefühle, Groll, Zorn und Ressentiment, die sie da einmal differenzieren. Das fand ich ganz spannend, sich da mal ein bisschen Gedanken zu machen.

Nils:
[16:20] Was wir in dem System auch noch haben, das fand ich auch noch ein ganz spannendes Argument, wir sind immer noch bei diesem Thema, das System erlaubt uns die Freiheit nicht oder der Kapitalismus, das System klingt immer nach einer großen Verschwörungstheorie, so ist es nicht gemeint, der Kapitalismus erlaubt uns nicht die Freiheit, die er uns verspricht. Und da ist noch ein schöner Punkt, dass wir als Individuen nicht mehr so abhängig sind von Einzelpersonen, wie das vielleicht historisch früher war, also von irgendwie einem Gutsherrn oder einem konkreten Einzelherrscher, aber dass wir dafür vielmehr darauf angewiesen sind, dass die Infrastrukturen unserer Gesellschaft funktionieren. Man kriegt das mit, wenn der öffentliche Dienststreik, also die Bahnen nicht fahren oder der Müll nicht abgeholt wird, dann wird das ganz schnell schwierig. Ja.

Amanda:
[17:09] Da setzt bei mir dann immer so ein bisschen auch das Problem an, wenn es um Libertarismus geht, wo das reinkommt. Also ich verstehe nicht ganz, wie man auf diesem Auge blind sein kann.

Nils:
[17:19] Ja. Könnte man jetzt an anderer Stelle darüber diskutieren. Ich glaube, das war in dem Buch Unterwerfung von Philipp Blom, war das so ein bisschen Thema, dass wir in unserer christlich geprägten westlichen Gesellschaft vergessen haben, dass das Materielle irgendwie auch eine Rolle spielt. Dass wir zu verkopft geworden sind, sozusagen. Vielleicht, also wir immer als kollektives ideologisches Grundgerüst dessen, wie wir die Welt sehen. Nicht als konkreter Personenkreis, das ist vielleicht noch ein ganz wichtiger Hinweis. Und eben diese Angewiesenheit auf die Infrastruktur, die ist halt auch wieder, ich soll so frei sein, aber ich kann jetzt nicht da hinfahren, weil da fährt keine U-Bahn hin. Oder weil, ich soll so frei sein, aber die wollen mir jetzt mein Tempo 200 auf der Autobahn wegnehmen. Also die U-Bahn fährt nicht, finde ich schlimmer, als ich darf nur 120 auf der Autobahn fahren, aber das sehen andere vielleicht auch anders, weil sie keine U-Bahn fahren. Und gleichzeitig ist diese Welt, diese Strukturen, auf die wir so angewiesen sind, wirken die irgendwie feindlich auf uns und nicht durchschaubar, also jetzt in der U-Bahn vielleicht noch, aber was jetzt bestimmt, warum wir einen Job kriegen, warum wir irgendwie einen anderen Job kriegen, warum wir befördert werden oder entlassen werden, warum unsere Firma jetzt aufgekauft wird und auf einmal alles anders passiert.

Nils:
[18:43] Da hat man so keinerlei Einfluss drauf und es wird immer mehr, eben weil diese grundlegende Sicherheit fehlt, eben auch als Bedrohung wahrgenommen. Und das finde ich auch noch einen guten Punkt, der einfach diese Unsicherheit, diese diffuse Unzufriedenheit sehr, sehr gut erfasst. Das Ganze ist dann noch verbunden mit einer großen Ungleichheit. Also wenn man sich zurückdenkt so an die historischen Prozesse um Freiheit, da ging es immer um Freiheit und Gleichheit. Was wir jetzt haben ist, Für eine Ungleichheit in der Freiheit, drücken wir es mal so aus, sie nennen es selber nicht so, aber in gewisser Maße eine Ungleichheit in der Freiheit, weil die oberen Klassen, wer Geld hat, wer Bildung hat, wer es einmal geschafft hat, so ein bisschen den Fuß auf den Boden zu kriegen, der wird tendenziell auch freier.

Nils:
[19:30] Also die, wir haben das bei Corona gesehen, die in dem Homeoffice arbeiten können die irgendwie die Möglichkeit haben eben nicht sich die Infektionsgefahr im selben Maß aussetzen zu müssen das sind die, die auf einmal Freiheitsgrade gewinnen und irgendwie Mitarbeitende im medizinischen System, Ärzte Pflegekräfte und ähnliches die müssen auf einmal sogar irgendwie zu Hause in separaten Zimmern wohnen, um sich bloß nicht anzustecken oder werden irgendwie in Wohnheimen untergebracht in der heißen Phase gab es glaube ich das ein oder andere Mal und verlieren dadurch auf einmal ein massives Maß an Freiheit. Während die einen anfangen Sauerteigbrot zu backen, sind die anderen froh, wenn sie sich in ihren 12-Stunden-Schichten nicht irgendwie mit Corona anstecken. Das ist jetzt ein Extrembeispiel, aber strukturell ist es halt oft sehr ähnlich.

Nils:
[20:21] Und das ist halt auch, dass wir diese Ungleichheit ins System auch an der Stelle reinkriegen und dass wir dann gleichzeitig auch ja, halt Vergleiche ermöglichen. Auf einmal sehen wir, wie andere leben und was andere tun und wir haben eben auch den Anspruch, ja, warum sollte ich denn, ich arbeite nicht weniger hart und so weiter und so fort, warum schaffe ich das nicht, was die schaffen? Auch da wieder, gerade wenn wir in diese Performance reinkommen, also irgendwelche Influencer, die irgendwie ihr Bling-Bling-Leben zeigen, was natürlich auch für die Kamera inszeniert ist im Normalfall, werden aber trotzdem dann irgendwie zu so einem Vergleichsmaßstab Was halt auch dann irgendwie schwierig ist. Und wir haben auch noch ein stärkeres Unrechtsbewusstsein dafür. Da kommt diese regressive Modernisierung ins Spiel. Auf der einen Seite werden sich immer größere Teile der Gesellschaft dieses Unrechts bewusst. Und auf der anderen Seite merken sie aber auch, dass sie halt eventuell am negativen Ende dieses Unrechtes stehen und entwickeln dadurch eben genau, was wir gerade hatten, Groll, Zorn, Ressentiment aus guten Gründen auch zum Teil, was dann dagegen arbeitet im Grunde.

Amanda:
[21:30] Finde ich spannend. Ich habe das von ein paar Freunden gehört, die so ein bisschen im Krisenmanagement mit Jugendlichen arbeiten. Und interessant ist, dass insbesondere auch Jugendliche aus, ich sag mal, sozial benachteiligten Schichten das ganz anders wahrnehmen. Da sind die Beispiele und die Vorbilder, das sind genau diese Personen, die sie sein möchten. Und da ist gar keine Ungleichheit, das wird nicht so wahrgenommen oder eine Ungerechtigkeit, sondern im Gegensatz zu, ich kann das auch schaffen. Und zwar aber komplett realitätsfremd, also das geht, das finde ich interessant, weil ich frage mich dann, bei wem das tatsächlich diesen Neid auslöst, also wo man dann hinkommen muss, um das zu empfinden.

Nils:
[22:24] Also ich glaube, das ist tatsächlich, hier geht’s wie, also das sieht man ja auch, wenn man in die ganzen Bewegungen guckt, also sie haben nachher noch eine Analyse von drei solcher Bewegungen, von Querdenkern, von wie nennen sie das, gefallenen intellektuellen und von tatsächlich dann eher rassistisch-rechtsextremistisch eingestellten Menschen. Da geht es selten um die Jugend. Da geht es eher so um um die gesetzten Erwachsenen.

Amanda:
[22:52] Okay, man hat was probiert im Leben und das hat nicht funktioniert und dann schaut man sich mal so.

Nils:
[22:57] Ja, oder es hat sogar funktioniert, nur man ist sich nicht mehr so sicher, ob es noch weiter funktioniert. Das ist, glaube ich, fast eher der Punkt, weil wenn man jetzt gerade auch so in Deutschland auf die AfD-Wählerschaft guckt, das sind nicht nur die Gruppen, die man typischerweise als gesellschaftlich benachladigt verstehen würde. Das sind auch die Gruppen, die eben genau so ein bisschen ja, die Einfamilienhausbesitzer in den baden-württembergischen Kleinstädten und Dörfern. So, das sind jetzt nicht ökonomisch benachteiligte Gruppen im Normalfall. Wo aber trotzdem diese Dynamiken und dieses Unwohlsein im Grunde entsteht.

Amanda:
[23:35] Okay.

Nils:
[23:37] Genau. Ja, das ist dann tatsächlich noch ein Punkt, der da auch reinkommt, weil genau diese Einschränkung, die es gibt, das widerspricht sich jetzt diesem, die oberen Klassen sind freier als die Unteren, das spricht ihm eigentlich nicht, weil genau diese Einschränkungen sich jetzt auf einmal auch auf sozioökonomisch wohlhabendere Menschen erstrecken. Da ist natürlich das klassische Beispiel Corona, weil auf einmal sagt der Staat auch mir, was ich zu tun habe, wo ich hinzugehen habe und was ich nicht darf. Das sind die Empfänger von Hartz-IV oder Bürgergeld in Deutschland, die sind das schon immer gewohnt. Die kennen das nicht anders, die kennen den Staat nicht anders. Aber auf einmal, wenn ich jetzt ein oberer Mittelschicht-Dude bin, dem irgendwie ein Haus gehört und so. Auf einmal geht der Staat mir so um wie mit den Armen, das geht ja gar nicht.

Amanda:
[24:24] Ja. Wobei ich da, ich verstehe ein bisschen, wenn man wieder das Individualisierungsargument nimmt, bei Impfungen ist das natürlich schon so, die positiven Effekte, die werden ja gesamtgesellschaftlich getragen. Wohingegen die negativen, da bist du wirklich als Individuum ganz alleine auf dich gestellt. Also klar, im besten Fall kriegst du da Unterstützung und so weiter, aber die Folgen, die trägst du als Einzelperson und ich glaube insbesondere in dieser Individualisierungstendenz hat das einfach ein größeres Gewicht gekriegt.

Nils:
[24:54] Ja, das ist ein super Beispiel. Würden die auch, glaube ich, genauso mitgehen. Weil es auch genau, das ist jetzt ein Argument, das bringen sie dann, das ist deren Kernargument, was ich am Ende bringen wollte, aber gehe ich jetzt schon mal darauf ein, dass es tatsächlich darum geht, um so eine Absolutsetzung von Freiheit. Also um eine und vor allen Dingen eine Individualisierung von Freiheit. Also es ist meine Entscheidung, was ich darf und was nicht und jede Einschränkung dieser Entscheidung ist erstmal illegitim, egal ob ich die eventuell sogar mittrage. Also vielleicht sage ich sogar, ja, ich habe kein Problem damit, mich impfen zu lassen, aber ich finde die Impfpflicht scheiße. So, um an dem Beispiel zu bleiben. Das ist genau diese Verabsolutierung, ich darf das für mich entscheiden und ich entscheide mich so, aber alle, jeder soll das auch für sich entscheiden dürfen, egal was das gesellschaftlich bedeutet. Das ist ein schönes Beispiel dafür.

Nils:
[25:43] Genau, jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir so ein bisschen in die kleineren, diffizileren Einzelargumente erstmal gehen, bevor wir dann nochmal zu diesen drei großen Gruppen kommen, von denen ich gerade sprach. Also das ist so der ganz große argumentative Bogen im Grunde, der das Buch durchzieht. Es gibt noch so ein paar Nebenargumente, die in einzelnen Teilen auftauchen. Da haben wir einmal den Punkt, dass unsere moderne Gesellschaft ja nicht mehr so sehr darauf setzt, durch eine externalisierte Kontrolle, also so sehr der Staat irgendwelche Regeln macht. Wir sind in einer massiv weniger regulierten und einer offeneren Gesellschaft, als man das vor 100, 200, 300, 400 Jahren war, wo eben irgendwelche religiösen Autoritäten oder ähnliches wirklich sehr detailliert Dinge vorgeschrieben haben und auch sehr minutiös kontrolliert wurde. Das merkt man alleine schon irgendwie auch in Familien, dass irgendwie Erziehungsziele sich verändert haben und so weiter und so fort. Das heißt, wir haben weniger so eine Beherrschung von außen. Was wir aber haben, das ist jetzt auch kein neues Argument, gerade aus der Theorielinie der kritischen Theorie, ist, dass wir diese Unterdrückung oder diese Herrschaft im Grunde internalisiert haben. Also, dass nicht mehr der Chef hinter mir stehen muss, so du arbeitest jetzt aber, sondern dass wir selber ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir mal länger Pause machen als alle anderen.

Nils:
[27:06] Und das sind ja auch Motive, die immer weitergehen, auch wenn man so Richtung New Work und Flexibilisierung der Arbeit, zumindest in manchen Wirtschaftsbereichen geht, da funktioniert das ja auch genauso. Die funktionieren dann besonders gut, wenn die Leute nicht mehr angetrieben werden müssen, sondern das selber tun. Das ist wieder eine sehr kapitalismuskritische Perspektive. Man hat da sicherlich auch positive Aspekte drin, wenn man frei genug und sicher genug und etabliert genug ist und selbstbewusst ist und genug gebildet ist und so weiter und so fort, um sich dann da auch wieder seine eigenen Freiräume zu schaffen, ist das was anderes. Aber wenn man das eben nicht hat, dann fehlt dann diese Unterdrückung da einfach immer stärker und eben auch sozial verstärkt. So was, was bist du schon vor 18 Uhr gegangen, so ungefähr.

Nils:
[27:52] Wir sind auch an dem Punkt, wo trotz allem das Leben für viele Menschen in gewisser Weise leichter geworden ist. Weil wir für bestimmte Dinge halt nicht mehr so viel tun müssen. Also bestes Beispiel, wie komme ich an Musik? Sie ist billiger geworden, sie ist zugänglicher geworden, ich muss jetzt nur noch suchen und klicken.

Nils:
[28:15] All das, also das Leben ist leichter geworden, auch Grundnahrungsmittel sind billiger geworden und ähnliches. Es nicht heißt, dass es nicht immer noch Leute gibt, denen das schwerfällt, das zu finanzieren, das will ich gar nicht implizieren und dann ergreifen sie dann auf Sloterdijk zurück, das fand ich auch ganz spannend ist aber auch ein Argument, das kommt nicht nur von ihm dass wir natürlich eine Gesellschaft leben, der es immer schwieriger fällt irgendwelche Gratifikationen irgendwelche positiven Gefühle aufzuschieben zu sagen, ich spare jetzt mal zwei Jahre und dann kaufe ich mir irgendwie den Computer, nein, ich kaufe den Computer jetzt und finanziere ihn so, das vielleicht auch nochmal als Beispiel und dass wir da immer weiter uns hin bewegen und das auch nicht aufhört bis jetzt und jede Forderung nach einer Zügelung als Überforderung wirkt. Also wie, ich kann das nicht jetzt sofort, das kann ja nicht sein und das darf ja nicht und ich muss das aber jetzt sofort kriegen.

Nils:
[29:08] Und interessanterweise, das machen sie jetzt glaube ich nicht explizit, ist ja genau dieses Aufschieben von Belohnung, ist ja im Grunde das, was Weber als Kern der protestantischen Ethik ausmacht. Und so im Grunde ja als Grundlage des Kapitalismus und das haben wir uns jetzt aber wieder abgewöhnt und dann wird es halt schwierig, dann kommen wir halt in Konflikte. Und jetzt kommen wir zu einem spannenden Punkt, weil sie auch von einem libertären Autoritarismus reden, das klingt ja auch erstmal nach einem begrifflichen Widerspruch und das machen sie jetzt hier das erste Mal auf, weil sie sagen, im klassischen Autoritarismus ist dieser Triebverzicht, also diese Fähigkeit, irgendwie Belohnung aufzuschieben oder zu warten, bis irgendwie was passiert oder auf etwas hinzuarbeiten, ist die an eine Führungsperson gebunden. Hängt das an einem Menschen, der sozusagen uns hilft, uns zu kontrollieren? So, kann man jetzt gut finden, also hat seine Vorteile, hat seine Nachteile an der Stelle.

Nils:
[30:09] Im libertären Autoritarismus, also das, was die beiden diagnostizieren, Da unterwirft man sich eben nicht der Person, sondern dem eigenen Gefühl sozusagen, dem eigenen Blick auf die Welt, der eigenen Freiheit. Und das ist, glaube ich, das, was sie mit diesem libertären Autoritarismus meinen, dass ich mich nicht mehr der Person, einer externen Person unterwerfe, sondern irgendwie einem, ja im Grunde, wenn man es mit Freud sagen will, dem Ich, komplett. Und dass ich gleichzeitig geschwächt wird, weil wir eben immer mehr, immer stärker diese sofortige Gratifikation irgendwie anstreben und dann dem, bei Freud wäre es das eh, dem S irgendwie den Raum lassen und uns dem dann auch noch komplett unterwerfen, weil es eben anders als den klassischen Autoritarismus nicht die Führungsperson von außen gibt, die das sozusagen verstärkt. Ich weiß nicht, ob ich das Autoritarismus, Ich finde das eher so ein Paternalismus oder sowas irgendwie in den begrifflich nehmen, aber der Kontrast wird, glaube ich, trotzdem deutlich.

Nils:
[31:18] So, was haben wir noch? Wir haben noch eine andere Sache, wo wir so ein bisschen das Problem haben, dass wir so eine gewisse Unterwerfung irgendwie brauchen. Das ist nämlich, dass unsere Gesellschaft immer abhängiger geworden ist vom Wissen. Vom Wissen, wie Dinge funktionieren, wie unsere Technologie funktioniert, wie irgendwelche bürokratischen Abläufe funktionieren und so weiter. Und dass die Risiken, die wir in dieser Gesellschaft haben, immer diffuser werden.

Nils:
[31:48] Also das große Risiko ist im Normalfall bei den meisten Menschen in unseren Gesellschaften nicht, dass wir diese Woche verhungern. Das Risiko ist eher, dass wir in einem Jahr unseren Job verlieren, weil KI. Oder dass wir in zehn Jahren irgendwie wegmigrieren müssen, weil unsere Region zu heiß wird. Das sind eher so diffuse Risiken, die weit weg sind und die erleben wir nicht mehr selbst. Dafür brauchen wir jemanden, der sie uns nennt. Das sind irgendwie Experten logischerweise oder ExpertInnen, die gleichzeitig dabei auch noch immer spezialisierter werden. Ich fand das sehr, sehr schön, sehr, sehr spannend zu beobachten, als wir mitten in Corona steckten. Gab es ja in Deutschland diesen Corona-Podcast mit Christoph Trosten, dem Virologen, der dann wirklich irgendwie gefragt wurde nach dem Vergleich zur Grippe. Und der dann erstmal ansetzte und drei Minuten erzählte, wie wenig er eigentlich über die Grippe weiß und dass er da nicht Experte für ist. Dass er jetzt erstmal nur so als allgemeiner Mediziner antworten kann, dass es da aber bessere Experten gibt, die das besser erklären können. Er wäre ja nur Experte für die Coronaviren.

Nils:
[32:53] So, das ist genau diese Spezialisierung, wo sich die Experten, ExpertInnen dessen auch meistens sehr bewusst sind. Manchmal auch nicht, wenn sie dann irgendwie über gesellschaftliche Themen reden, von denen sie weniger Ahnung haben als andere, aber da kommen wir nachher noch zu. Aber diese Experten werden dann eben auf einmal, gerade wenn wir in so Situationen sind, wo wir im hohen Maß von Wissen abhängig sind, wie Klimakatastrophe, wie Corona-Pandemie, werden die auf einmal auch als politische Machtfiguren wahrgenommen. Was sie ja faktisch auch in gewisser Weise sind. So, da wird dann auch, ja, ich bin hier nur der Wissenschaftler, ich gebe hier nur die Wissenschaft wieder. Ich verstehe das aus der einen Position, aber andererseits, nee, tust du nicht, weil wissenschaftliche Autorität hat eine Machtposition. Und wenn du die gerade äußerst, dann machst du auch eine politische Äußerung in gewisser Weise. Das muss ich zumindest nicht wundern, wenn es so wahrgenommen wird. Weil wir da auch als Gesellschaft einfach schlecht gelernt haben, mit umzugehen. Und so gibt es halt auch einfach in den Spezialgebieten immer mehr Wissen und es gibt immer weniger Menschen, die die Welt wirklich verstehen. So in ihren komplexen, groben Zusammenhängen auch einfach. Weil dieses Wissen eben immer spezialisierter wird und immer genauer wird und man eigentlich selbst bei den gut gebildeten Leuten immer weniger Leute hat, die so alles im Großen und Ganzen verstehen, meistens immer nur in ihren Teilgebieten sind.

Amanda:
[34:17] Würdest du das so unterschreiben? Für mich klingt das so, ich verstehe das, wenn man sich 300, 400 Jahre zurück begibt und dann irgendwie so eine allgemeine Gelehrtheit, konstatieren kann. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt so als aktuelle Gegenwartsdiagnose auch so sehen würde?

Nils:
[34:40] Doch, würde ich schon. Einfach weil die Prozesse so komplex sind. Also wenn man jetzt, also wenn man darauf blickt, was passiert, warum schaffen wir es nicht, auch wenn 90 Prozent der Leute sagen, wir brauchen mehr Klimaschutz, warum schaffen wir es nicht ernsthaft, das Thema ernsthaft anzugehen? Das ist ein ganz komplexer Prozess im Hintergrund. Nicht nur einer, sondern ganz viele.

Amanda:
[35:03] Ich frage mich dann, ob der Prozess, dass der komplex ist, das verstehe ich, dass die Sache an sich komplex ist auch, aber es ist ja, ich sage mal, der Output von Klimakrise oder was wir tun müssen, das ist ja eigentlich ganz einfach.

Nils:
[35:17] Ja, aber das ist richtig, aber wie man es hinkriegt.

Amanda:
[35:21] Und da meinst du, würde es helfen, also da gäbe es Leute oder da gab es früher Leute, die das besser überblicken konnten.

Nils:
[35:30] Weil die Strukturen einfacher waren.

Amanda:
[35:31] Im Sinne von…

Nils:
[35:31] Also auch wenn wir jetzt in den Kalten Krieg zurückdenken, geopolitisch, ließ sich dann doch ein sehr gewaltig großer Teil aller Entwicklungen auf die zwei Blöcke reduzieren mit China, das irgendwie noch so ein bisschen die Füße stillgehalten hat. Wenn man jetzt da reinguckt, ist das an so vielen Stellen so unterschiedlich individuell komplexe Dynamiken. Ich meine, vielleicht kennt man sie jetzt auch nur besser, dass man jetzt weiß, dass man jetzt zumindest eine Ahnung hat, wie komplex es ist, ohne es wirklich zu durchdringen. Dass man früher noch nicht mal geahnt hat, wie komplex es eigentlich ist, das könnte auch sein.

Nils:
[36:04] Aber wir haben, wie war das mit dem, wer sagte doch auch immer, es gibt wahrscheinlich keinen Menschen auf der Welt mehr, der wirklich komplett weiß, wie ein Computer funktioniert. So, es gibt Leute, die irgendwie die Hardware-Architektur kennen, es gibt Leute, die die Physik und die Elektrotechnik dahinter kennen, ein bisschen ins Detail, es gibt die Leute, die das kennen, die jenes kennen, aber jemand, der so wirklich alles kennt, was wir da gebaut haben, gibt es in der Form nicht mehr. Das ist glaube ich so ein bisschen eher die Richtung in die das geht, das geht eher so in dieses wir haben nicht mehr das ausreichende Wissen über die Welt um uns selbstwirksam in ihr bewegen zu können das ging früher vielleicht auch noch einfacher, weil die Strukturen, in denen wir uns bewegen mussten einfachere waren da war es halt der Dorfstammtisch mit 20 Leuten und nicht mehr Twitter mit 200 Millionen Nutzenden so, also das ist glaube ich eher der Punkt das ist ein berechtigter Einwand

Nils:
[37:05] Genau. Was sie dann eben auch sagen, wir haben immer mehr Bildung, aber immer weniger Wissen. Fand ich auch ganz spannend. Also der Anteil dessen, was wir in der Bildung noch vermitteln können, von dem, was man eigentlich wissen müsste, wird immer kleiner. So würde ich das jetzt interpretieren. und wir sind auch in der Gesellschaft, die auf der einen Seite berechtigterweise aus so einer sozialkonstruktivistischen Wissenschaftskritik, also die auch einfach mal so ein bisschen den sozialen Aspekt von Wissenschaft betont, so dieses Thema feministische Mathematik, das sind ja so Dinge, die dann gerne mal weggelacht werden auf der einen Ebene, dass das auf der einen Ebene ein ganz wichtiger Punkt ist, dass das auf der anderen Ebene aber auch ein Aspekt ist, der Wissenschaftsskeptiker eine Munition liefert. Weil das ist ja auch nur eine Meinung. Wenn Wissenschaftler sich nicht so sicher sind, wenn die das nicht sicher wissen, dann ist meine Meinung genauso viel wert wie deren. Auch ein Top-Hosen-Motiv, was wir in der Corona-Zeit doch immer wieder gesehen haben.

Nils:
[38:05] Damit sind wir in einer Struktur, wo eigentlich mehr Vertrauen in Experten, Expertinnen nötig wäre. Die wissen schon, wo dieses Vertrauen aber erodiert. Und das ist natürlich eine gefährliche Situation, weil das ist genau der Moment, wo dann so Individualperspektiven entstehen. Sieht das auch ganz schön, muss ich gerade dran denken, ich glaube, ich habe das Buch nicht hier vorgestellt. Ich habe hier vorgestellt von Christoph zusammen, haben wir die Vereindeutung der Welt in der Episode 20, haben wir das, glaube ich, gemeinsam vorgestellt. Da gibt es noch ein ausführlicheres Buch zu und auch Bücher von anderen Autoren, die eben auch sowas wie religiösen Extremismus darauf zurückführen, dass wir eine Individualisierung haben. Klingt erstmal paradox, aber die halt sagen, ja, weil es eben nicht mehr die eine Autorität gibt oder in anderen Religionen noch nie gab, die gesagt hat, so ist die Auslegung und die auch mal eine Änderung der Auslegung, eine Anpassung der Auslegung an moderne gesellschaftliche Gegebenheiten irgendwie vorgenommen hat, ist es jetzt so, ja, interpretier du das mal für dich. So, und das führt dazu, dass es dann eben nicht offizielle und individuelle Gurus, sag ich jetzt mal halbwegs religiös neutral, gibt, die ihre Interpretation anbieten und die dann natürlich einfach, weil sie einfach ist, weil sie attraktiv ist, irgendwie aufgegriffen wird und dann diese Menschen mobilisieren können, für was auch immer sie sie mobilisieren wollen. Ich versuche mal, das möglichst neutral zu formulieren.

Nils:
[39:32] Fand ich auch ein spannendes Argument. Das machen die jetzt hier nicht explizit, aber ich glaube, das ist ziemlich genau dieses Motiv, was wir da auch nochmal sehen.

Amanda:
[39:39] Okay.

Nils:
[39:41] Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir eben als Gesellschaft dieses Nicht-Wissen-Können, das tut uns irgendwie in unserem Weltbild weh. Da sind wir auch wieder bei dem Philipp Blom und wir dominieren die Welt und wir können das alles und wir Menschen sind die Größten und die Besten. Und jetzt auf einmal haben wir das Gefühl, wir wissen da ganz viele Dinge nicht und da passieren Dinge, die wir nicht abschätzen können. Und da sehen Sie so zwei Reaktionen. Das eine nennen Sie sehr schön epistemische Regression. Das heißt, wir kündigen einfach das Prinzip auf, dass es sowas gibt wie eine echte Realität. So, da sind wir jetzt im Grunde bei den linken Sozialkonstruktivisten in der Soziologie. Faktisch nutzen tut das aber irgendwie so die Regierung Trump, die man jetzt nicht als linke Sozialkonstruktivisten beschreiben würde.

Amanda:
[40:31] Ja, nicht ganz.

Nils:
[40:32] Aber da sehen wir auch wieder, wie dieses wissenschaftliche Motiv, Argument, wie das in einem anderen Kontext gesetzt, höchst destruktive Folgen hat. Weil es eben nicht mehr ein wissenschaftliches Prinzip bleibt, sondern absolut gesetzt wird.

Amanda:
[40:47] Ja.

Nils:
[40:47] Was natürlich auch mal ein dummer Gedanke ist. Das ist der eine Weg. Und der andere Weg ist, dass sich so, das ist auch wieder was, was Sie, glaube ich, primär aus Corona abgeleitet haben, so eine Identität über geteiltes, exklusives Wissen. Also sagen, ja, wir sind hier die Insider, wir wissen, wie es wirklich ist und das ist nicht das, was der Mainstream sagt und es geht dabei eigentlich gar nicht so sehr um das Wissen und irgendwie um das Handlungsfähigsein und darum Corona zu verhindern, sondern es geht darum, eine soziale Kohäsion in einer bestimmten Gruppe herzustellen und Identität zu schaffen. Und in dieser sozialen Gruppe gibt es dann eben genau wieder dieses, ich habe das Gefühl, ich verstehe das, ich kenne das. Es gibt die eine Person oder die zwei Personen, die sagen mir dieselbe Wahrheit. Und so ergibt sich eben eine soziale Kohäsion, bei der es ums Inhaltliche eigentlich gar nicht mehr geht. Das fand ich auch einen spannenden Punkt. Also wir haben da auch einfach dieses andere Verhältnis zum Wissen.

Amanda:
[41:42] Und anders auf welchen Bezugspunkt hingesehen als früher?

Nils:
[41:52] Ich glaube, sie würden das tatsächlich sowohl als eine Entwicklung auf der Ebene der Jahrzehnte als auch der Jahrhunderte verstehen. Weil ich glaube, es ist eher eine Entwicklung dieser Aspekt, eher der Jahrzehnte tatsächlich. Also ich glaube nicht, dass sie da jetzt so eine 17., 16., 17., 18. Jahrhundertwelt vor Augen haben im Kontrast. Weil da war ja einfach der Zugang zu Wissen generell noch ganz anders strukturiert. Also ich glaube schon, dass sie das jetzt gegenüber so einer 50er, 60er, 70er, 80er-Jahre-Welt, der Welt des 20. Jahrhunderts, wie man so schön sagen kann, glaube ich, da machen sie den Kontrast auf. Und dann so die letzten 10, 20 Jahre, dass sich das massiv verschoben hat.

Amanda:
[42:31] Ja, ich finde das interessant, das mit der epistemischen Regression. Ich finde halt auch diese ganze Diskussion mit ExpertInnen, vertrauen wir darauf. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man früher das einfach akzeptiert hat. Man hat akzeptiert, dass es Menschen gibt, die mehr wissen als man selbst. Und man musste nicht versuchen, das zu hinterfragen. Ich hatte mal eine Diskussion geführt, da hat mir eine Person gesagt, Corona gibt es nicht, weil man hat den Virus noch nie gesehen. Und dann, klar, wo beginnt man dann? Also wenn man nur an Dinge glaubt, die man selbst gesehen hat, ja dann ist man, also dann, das muss, da kommt man zu keinem geteilten Weltbild mehr. Also da verstehe ich diese epistemische Regression, dass das darin mündet, finde ich dann ganz plausibel. Also ich tue mich ein bisschen schwer mit dieser ExpertInnen-Diskussion. Deshalb, weil ja schon auch jetzt in den Entwicklungen, sagen wir in den USA, ist es ja schon so, dass diese eigentlich meiner Meinung nach aus demokratischer Sicht viel zu viel Gewicht kriegen. Also im Sinne von nicht mehr legitimiert demokratisch, sondern ich sage mal auch viel selbsternannte ExpertInnen.

Nils:
[43:57] Und da ist auch wieder die große Gefahr, wer bestimmt eigentlich, wer ein Experte ist und da kommen genau die sozialen Strukturen wieder ins Spiel, das ist natürlich eine demokratische Partei, andere Personen als Experten benennt, als eine republikanische Partei ja, exakt aber ich glaube, da sind wir genau an diesem Punkt, wo wir auch bei der Spezialisierung sind und wo wir auch dieses Gesamtwissen irgendwie da nicht mehr haben, also wenn selbst ein Experte, wie jetzt ein Virologe wie jetzt ein Christoph Drosten, was man von halten mag oder auch nicht Ich glaube, sein Hintergrund ist erstmal unbestreitbar. Wenn selbst der halt sagt, ich kann nicht sagen, wie wir politisch darauf reagieren sollen. Wenn der selbst sagt, ich kann nur über diesen einen Virus was sagen. Weil da spielen aber natürlich so viele Dinge zusammen, gerade auch in der Zeit, als man noch nicht so viel wusste. Wenn dann selbst die Experten sagen, wir wissen nicht so genau und wir versuchen jetzt mal und wir gucken mal, es müsste eigentlich in diese Richtung gehen, dann braucht das schon sehr, sehr viel Reflexion, gerade wenn man noch eine Gesellschaft kennt, in der das Expertenwort das Armen war, sozusagen, ist das sehr, sehr schwierig, damit umzugehen, glaube ich.

Amanda:
[45:07] Ich finde aber sogar, dass es eigentlich in eine lernunfreundliche Situation mündet. Nehmen wir mal als Beispiel, wenn es um Ökonomie geht. Da gibt es viele ExpertInnen. Aber was nimmst du denn als Referenzpunkt? Du kannst sagen, diese Ökonomie, keine Ahnung, hat in den 20 Jahren von 1940 bis 1960 funktioniert. Sind das jetzt nun die ExpertInnen, die, ich sage mal, valide Argumente haben? Sind es diejenigen, die danach gekommen sind? was auch für eine Zeitspanne sehr wohl funktioniert. Und da sehe ich halt ein bisschen das Problem, ja, also was nimmt man denn da? Weil für mich mündet das, du kannst nicht die Daten nehmen und kommst dann zu einer informierten Entscheidung, sondern du bist in einem System drin, das eben Lernen unfreundlich ist, in dem Sinne, dass du keine, also die Entscheidung, die wir treffen müssen, die muss oder die wird insofern einfach getroffen, weil wir sie demokratisch treffen jetzt bei uns. Ja, aber das.

Nils:
[46:03] Ist ja glaube ich glaube ich, genau dieses Argument, was die beim Thema Wissen machen. Es gibt, oder wo wir auch gerade über dieses, niemanden, der das Gesamte mehr überblickt. Ich glaube, das ist genau der Punkt. Es gibt die Experten für die neoklassische Ökonomie, für den Keynesianismus, für den Neokensianismus und jetzt auch für die Modern Monetary Theory und ich habe nicht einen Experten, der alles kennt und dazwischen abwägt, sondern ich habe für jede Theorie ihre ExpertInnen. Und alleine diese Entscheidung, die ich dann treffen muss für die brauche ich im Grunde auch schon wieder jemanden, der mir diese Expertise geben kann, zu sagen okay, was ist denn jetzt für die jetzige Welt das Bessere, was immer das auch heißt dann kommen wieder die demokratisch bestimmten Ziele ins Spiel das ist glaube ich genau die Schwierigkeit, diese Abgrenzung zwischen wo sind wir bei demokratischen Entscheidungen und wo sind wir bei einfach ja, wenn du Corona verhindern willst, haben wir nichts Besseres als Impfen. So, jetzt entscheide ich, ob du das verhindern willst oder nicht. Und diskutiere nicht, ob eventuell Pferdebleiche wirkt.

Nils:
[47:13] Ich glaube, das ist genau dieses Spannungsfeld, was die da aufmachen. Und wo man sich als, gerade wenn man nicht diese Debatten jetzt seit Jahren verfolgt mit einer gewissen Reflexion, einfach weil man durch eine wissenschaftliche Ausbildung gegangen ist, auch zum Teil, oder auch durch eine, die gleichzeitig noch Selbstreflexion ermöglicht, das ist ja auch nicht selbstverständlich. Ich glaube, wenn man das nicht hat, dann ist das extrem schwierig, sich da drin zu orientieren es fällt ja uns schon schwierig wenn wir gerade in Diskussion gemerkt haben wir haben da ja nun wirklich alle Vorteile mitbekommen, die man so mitbekommen kann genau, so jetzt haben wir noch zwei kleine Punkte, das erste ist auch eine gewisse Frustration mit der Demokratie weil sie einfach durch diese Vielschichtigkeit und die Pluralisierung einfach langsam wird und während die Gesamtgesellschaft sich immer schneller entwickelt und die Technologie sich immer schneller entwickelt, sind wir in der Entscheidungsfähigkeit werden wir immer langsamer was einfach die Demokratie mit sich bringt wenn man sie plural denkt, was wir ja im Grunde dann doch wollen und nach das ist wieder eine Enttäuschung vom System das verspricht so viel, aber es hält es nicht

Nils:
[48:23] Und dann haben wir auch, dann kommen wir auch genau zu diesem Aspekt, den du gerade angesprochen hast, zu dem Thema Alternativlosigkeit Dann kann man halt am Ende nur noch auf die zwei Experten hören, die man gerade halt mal berufen hat, weil sie aus irgendeinem Grund im sozialen System Wissenschaft gerade an der Stelle sind, dass sie halt die Personen sind, die man fragen muss. So, und dann ist die Selbstwirksamkeit für den Einzelnen endgültig weg. Und auch noch ein Aspekt, da kommt jetzt das Buch, was ich vorhin kurz angeschnitten habe raus von Mark Fischer, der Capitalist Realism dass wir auch einfach nicht mehr in der Lage sind, ganz viele dieser Krisen und dieser Entwicklungen auf ihre gemeinsame Ursache zurückzuführen das ist nämlich der Kapitalismus den setzen wir als gegeben und hinterfragen ihn nicht mehr und dann haben wir auf einmal 10 verschiedene Probleme wo wir sagen würden 6 von denen ließen sich vielleicht dadurch beheben wenn wir mal ernsthaft nachdenken ob wir das nicht ein bisschen anders an der Stelle zuschneiden. Und das ist auch nochmal so ein, es wirkt irgendwie so unkontrollierbar, weil wir über das eine, was vielleicht tatsächlich ein gemeinsames Problem sein könnte, nicht nachdenken können oder wollen.

Nils:
[49:29] Und vor allem diesem diffusen Hintergrund, wozu hat das geführt, dass wir Freiheit anfangen, das ist jetzt ein bisschen deren theoretisches Fazit, dass wir anfangen, Freiheit als einen individuellen Besitzstand zu verstehen und nicht als einen gesellschaftlichen Zustand. Das finde ich eigentlich eine ganz schöne Begrifflichkeit, dass wir sagen, ich besitze meine Freiheit, nicht wir als Gesellschaft sind frei. Das ist, glaube ich, der entscheidende Unterschied, weil es eben ignoriert, dass Freiheit durch Gesellschaft und Staat durchgesetzt werden muss. Ich bin nur dann wirklich frei, wenn der Staat oder irgendjemand meinen Nachbar daran hindert, mich zu verkloppen, wenn ich aus der Wohnungstür gehe. So, ich überspitze jetzt mal. Also im Grunde schon mal Thomas Hobbes.

Nils:
[50:18] Und wozu führt das, dass wir eben sämtliche gesellschaftliche Anforderungen, nicht nur staatliche Anforderungen, sondern auch so moralische Anforderungen in gewisser Weise als eine Zumutung empfinden. Also diese negative Konnotierung des Begriffs moralisieren, finde ich da sehr, sehr, sehr schön. Seit wann ist Moral was Negatives geworden? Wo sind moralische Anforderungen auf einmal was Negatives geworden, was Böses, wo man ausweichen muss? Dass man mal mit ihnen spielt und mal sich nicht so ganz an sie hält und mal bei ein oder zwei Sachen sagen, ja das ist jetzt irgendwie das ist jetzt nicht so meins, okay aber dass Moral an sich etwas Negatives geworden ist es führt eben dazu, dass dieses neue Freiheitsbild nicht nur gegenüber dem Staat gilt, sondern gegenüber allen Normen und dann fängt es halt an schwierig zu werden

Nils:
[51:13] Ja und was wir dann haben ist eben auch, dass sich im Grunde so unser Begriff des Freiheitskampfes im Grunde verändern muss der Freiheitskampf üblicherweise war wir müssen das Subjekt befreien aus der individuellen Unterdrückung das haben wir jetzt zum Großteil geschafft wo wir jetzt hin müssen ist die gesellschaftliche Bedingtheit der Freiheit wieder klar zu machen

Nils:
[51:40] Da gab es doch, wer war es? Joachim Gauck mit seinem Buch Freiheit in Bezogenheit. Ich habe es nicht selber gelesen, aber der Titel klingt sehr genau nach dem, was gemeint ist. Dass Freiheit eben ein gesellschaftlicher Zustand ist und nicht ein individueller Besitzstand. Und dass es eben auch dazu gehört, um die gesellschaftliche Freiheit zu sichern, die individuelle Freiheit einzuschränken. An gewissen Stellen. Und das ist eben genau das, wo dieser libertäre Autoritarismus eben sagt, nein, die Gesellschaft hat kein Recht, die individuelle Freiheit einzuschränken. So, und wenn wir das dann wieder ernst nehmen, dann kommen wir genau an den Punkt, weil da sind wir ja jetzt auch in vielen Bereichen schon, wo genau diejenigen, die halt eine gewisse Machtposition haben, über Machtmittel verfügen, die können sich genau diese Art von Freiheit leisten und kaufen und sichern. Die, die nicht haben, können das eben nicht. Und da kommt jetzt der nächste Punkt, die sind das aber nicht individuell schuld, dass sie das nicht können, das ist ein gesellschaftliches Problem, dass sie das nicht können. So, und dann schließt sich im Grunde der Kreis zu dem Argument, was wir vorhin hatten. Sie haben da noch, weil wir gerade über den historischen Bogen gesprochen haben, einen ganz schönen Dreiklang, den sie so ein bisschen historisch über das 20., bis ins 21. Jahrhundert ziehen. Ja, schon eher vom 19., 18. Jahrhundert Anfang dann darüber.

Nils:
[53:01] Freiheit hieß es erstmal Bürger zu sein. Oder erst wollte das Individuum Bürger sein, dann wollte das Individuum Angestellter sein und jetzt will es kreativer, selbstverwirklicher sein. Das fand ich einen schönen Sprünger sozusagen, nur als Motiv. Genau, das war der theoretische Rahmen. So, und jetzt kommen wir noch zu diesen drei kurzen Gruppen. Das halte ich jetzt aber mal bewusst ein bisschen kurz, weil wir sind schon fast an der Stunde dran. Also sie beschreiben dann noch drei Gruppen von libertär-autoritären sozusagen. Sagen, das sind einmal die gefallenen Intellektuellen, das sind die Querdenker, ich weiß nicht, ob sie sie Rassisten nennen, aber im Endeffekt ist es genau das. So, und die klassischen Intellektuellen, oder die gefallenen Intellektuellen, das sind klassische Intellektuelle, die keinen Platz mehr in der Gesellschaft haben, weil ihnen eben all ihre Funktionen, all ihre Rollen weggenommen worden sind. Es sind nicht mehr die progressiven Aufklärer an den Universitäten, weil das ist mittlerweile so differenziert, diffundiert, das machen so viele Leute an so vielen Stellen, das ist so Mainstream geworden, damit kann man irgendwie keine Position mehr beziehen. Eine andere Position ist die revolutionären Aufwiegler.

Nils:
[54:24] Ja, so diese progressive Revolution, die haben wir gerade nicht, die ist gerade nicht, die hat gewonnen im Grunde, erst mal, auf einer gewissen Ebene würde ich das schon so sagen, und ist der Anwalt für Schwache. Dafür braucht es die auch nicht mehr, weil die Schwachen können das mittlerweile auch selber.

Nils:
[54:44] Und sie sind halt auch eher Generalisten und die Generalisten schaffen es nicht mehr, das ganze Spezialwissen tatsächlich angemessen zu generalisieren das heißt, sie haben im Grunde all ihre Rollen verloren und brauchen jetzt irgendwie so ein bisschen eine neue Rolle, sag ich jetzt mal

Nils:
[55:09] Sie werden dann auch noch ständig durch die Wissenschaft widerlegt, weil das, was sie vor 30 Jahren mal irgendwann in ihrem Studium gelernt haben oder sich auch mühsam selbst erarbeitet haben, will ich ja gar nicht in Abrede stellen. Das gilt halt in der Form nicht mehr. Und auf einmal fehlt irgendwie so ein bisschen das, ja, was mache ich hier eigentlich noch? Und dann kommen wir genau wieder zu diesen Gruppen mit dem Spezialwissen. Das sind halt genau so Gruppen, die noch einen revolutionären Aufwiegler brauchen, die sich als Schwache fühlen und Anwalt wollen und wo es auch wieder Aufklärung braucht, nämlich von diesem Spezialwissen, was eben nicht irgendwie im Mainstreaming-System etabliert ist. Ja, das ist so ein bisschen deren Charakterisierung ein bisschen zugespitzt. Ich sehe dich lachen, ich höre dich lachen. Du scheinst das nachvollziehen zu können.

Amanda:
[56:02] Ja, klar.

Nils:
[56:06] Und in dem Kapitel, das hat aber eigentlich jetzt gar nicht mit dem Thema so viel zu tun, kommt noch ein schöner Gegensatz. Der progressive Blick will einen geregelten Markt und eine freie Gesellschaft. Der konservative Blick will einen freien Markt und eine geregelte Gesellschaft. Fand ich einen schönen, fand ich auch ein schönes Schlaglicht sozusagen aus dem Buch. So, das waren die gefallenen Intellektuellen. Dann kommen wir zu den Querdenkern. Ich weiß nicht, gibt es diese Diskussion unter dem Namen, gab es die in der Schweiz auch in der Form oder

Amanda:
[56:36] Ähm, ja, ich frage mich gerade, sag mal, mach mal das Argument und dann weiß ich vielleicht den Begriff.

Nils:
[56:46] Also Querdenker sind an der Stelle, das war halt primär in der Corona-Zeit eben die, die sich so dem Corona-politischen Mainstream entgegengestellt haben aus der Perspektive, das ist Freiheitseinschränken, Corona gibt es doch nicht und das ist alles eine Verschwörung und die Pharmaindustrie und so weiter und so fort. Also diese Kritiklinie im Grunde an der Corona-Politik nicht die Kritiklinie, es macht zu wenig, das ist nicht und so weiter und so fort, sondern eher so dieses, was jetzt in Deutschland sich in echten Rechtspopulismus im Grunde bewegt hat. Genau da sehen die, wolltest du was sagen?

Amanda:
[57:19] Ja, also die gab es natürlich bei uns auch, ja. leider dann oft so ein bisschen als Schwurbler bezeichnet, wenn dann halt wieder so Elemente von Verschwörungsideologien reinkommen. Ich bin da nicht so Fan von solchen Charakterisierungen, weil das, ja, ich finde das, man muss das definieren, was man damit meint.

Nils:
[57:39] Ja, ja, genau. Also Sie haben halt, in Deutschland gab es halt diese politische Bewegung, wo man eben geguckt hat, die war inhaltlich auch sehr diffus, die ließ sich schwer und Sie versuchen jetzt halt so ein bisschen das zusammenzubringen. Warum treffen sich genau diese Gruppen? Und das hast du gerade schon den Schwurbler-Aspekt sozusagen angesprochen. Das kommt dann tatsächlich, das taucht auch auf. Also bei denen, sie argumentieren einmal diesen Aspekt, auf einmal greift der Staat auch in das Leben der Mittel- und Oberklasse ein. Auf einmal merken die auch mal staatliche Regressionen, staatliche Regulierung, wie sie bei den Armen, bei den Benachteiligten schon immer war. So, das ist natürlich erstmal eine Kränkung. dann haben wir eben tatsächlich auch diese enge Verzahnung von Wissenschaft und Politik. Wir haben eine politische Wissenschaft und eine wissenschaftliche Politik. Es klingelt kurz an meiner Tür. Ich bin in einer Minute wieder da. Dass wir da dann genau diesen Aspekt auch haben, ich muss kompliziert, es ist sehr komplex, ich muss sehr schnell handeln, also komme ich genau in diese Alternativlosigkeit rein sozusagen, von der wir gerade auch schon gesprochen haben, wo das im Grunde so Entscheidungen einfach entpolitisiert werden.

Nils:
[59:04] Und das berechtigterweise, haben wir ja gerade auch schon angesprochen, führt natürlich auch zu einer gewissen Reaktion und zu einer gewissen Reaktanz vor allen Dingen auch. So will ich das nicht und dann stelle ich mich dem entgegen. Dann ist das tatsächlich auch so dass diese Gruppe und jetzt kommen wir in dieses Identitätsthema rein sich auch einfach als eine nicht respektierte Minderheit verstehen und sehen wobei dieses nicht respektiert da kann man jetzt sehr viel drüber diskutieren weil wenn es um Talkshowpositionen und ähnliches geht kann man nicht behaupten, dass das nicht Thema gewesen wäre und nicht irgendwie angesprochen worden wäre es hat sich halt nachher im demokratischen Prozess nicht politisch durchgesetzt oder ich würde auch nicht sagen, dass es sich nicht durchgesetzt hat es hat halt einfach Einfluss genommen vielleicht in dem Auge nicht weit genug politisch durchgesetzt. Aber dann sind wir wieder im demokratischen Prozess und da haben sie dann auch noch mal so ein schönes, nee, dann ziehen sie noch den Bogen zu dem, die Verbindung eben zum linksökologischen Milieu, also zu dem, was man so Richtung Esoterik oder das, was du jetzt gerade als Schwurbler, also in Deutschland war das weniger die Verschwörungstheorie als eher so dieses esoterische, es gibt ja keine Viren, weil ich habe sie noch nie gesehen, was du gerade auch angesprochen hast, wo sich dann auch Esoterik und Verschwörungstheorie so ein bisschen vermischen, die ja schon immer so ein bisschen den Aspekt des exklusiven Wissens und

Nils:
[1:00:27] Der Gegenposition gegen das Mainstream und auch gerade gegen eine Naturwissenschaft sozusagen hatten, ist das natürlich für die dann massiv anschlussfähig. Weswegen dann auch eben genau Menschen, die sich immer eher als links gesehen haben, auf einmal auch in diese Gruppe, in diese Bewegungen fallen oder sich da zuordnen und dann auch verständlicherweise ein Problem damit haben, wenn sie auf einmal rechtspopulistisch genannt werden, weil sie sich ja selber immer irgendwie als links gesehen haben. Aber sich da eben genau, weil dieses Gegenwissen Motiv so ein bisschen die politische Seite gewechselt hat,

Nils:
[1:01:01] Sich jetzt auf einmal mit ungewohnten Verbündeten sozusagen konfrontiert sehen. Fand ich ein spannender Punkt. Und diese Gruppe zieht dann eben ihre Legitimation so ein bisschen aus dem Widerstand zur Mainstream. Das ist so ein bisschen dieses, wir stellen uns dagegen, weil die respektieren uns nicht. Das ist eine kalte Gesellschaft und nicht eine warme Gemeinschaft. Das ist auch noch so eine Rhetorik, die sie aufgreifen, wo sich dann eben genau so eine Blase sozusagen bildet.

Amanda:
[1:01:32] Okay, aber dann wieder Mainstream aus deren Sicht.

Nils:
[1:01:35] Ja, genau, klar. Ja gut, ich meine, das ist glaube ich genau dieser Punkt, wo Nachtwey und Amlinger auch sagen, also ich glaube, sie würden sagen, der progressive Blick hat auf vielen Ebenen gesellschaftlich tatsächlich, gewonnen ist übertrieben, aber es ist der Mainstream geworden an vielen Punkten. Da ist ja auch eine Menge dran. Weil man sieht jetzt gerade in den USA mit der Regierung Trump 2, sieht man mal, was es eigentlich alles an Errungenschaften gab, die gerade wieder abgesägt werden. Also aus so einer Perspektive denken sie, glaube ich, daran. Das ist ja auch dieses Motiv, der Fortschritt ist da, aber er bringt sozusagen seinen eigenen Downfall gleich mit sich. Das ist ja auch was, was dem Marxismus als Motiv, als Argument jetzt nicht fremd ist. Und ich glaube, das würden sie schon sagen, Dass wir sehr, sehr weit gekommen sind in vielen Dingen und das, was früher eben nicht der Mainstream war, das ist jetzt immer mehr Mainstream geworden, aber weil es dann halt doch nicht um das Inhaltliche ging, sondern eher um die Gemeinschaft des gegen den Mainstream-Seins, hat man jetzt auf einmal aus einer politischen Perspektive von oben gewisserweise die Seite gewechselt. Das ist, glaube ich, ein bisschen das Argumentationsmotiv, was da drin steckt.

Amanda:
[1:02:55] Ja, ist ja auch so ein bisschen das Selbstverständnis. Wir sind weder links noch rechts. Genau.

Nils:
[1:03:00] Wir sind dagegen.

Amanda:
[1:03:01] Genau.

Nils:
[1:03:03] Da ist tatsächlich nach dem Argumentationsmotiv ist da auch was dran. Das wird halt nur gerade in erster Linie von der politischen Rechten mobilisiert. So. Und warum? Das ist jetzt der dritte Punkt. Das schließt jetzt gut an. Das ist nämlich genau die dritte Gruppe, die die Amlinger und Nachtweide aufmachen. Das sind nämlich die Gruppe, die, ich weiß nicht, wie sie sie nennen, ich habe sie jetzt in meinen Notizen Rassisten genannt. Also aber jetzt eher als ein politischer Offengelebter, weniger als der Internalisierte, den wir dann doch zum Großteil mit uns rumtragen.

Nils:
[1:03:33] Die haben ganz oft in ihrem Leben irgendwelche Arten von Brüchen erlebt. Also ich muss vielleicht nur dazu sagen, diese drei Gruppen, die wir da haben, sie haben qualitative Interviews geführt. Das habe ich jetzt gar nicht erwähnt. Das ist nicht nur eine theoretische Herleitung. Das sind nicht unendlich viele. Sie haben, ich glaube, 20 qualitative Interviews eben geführt mit AktivistInnen aus den verschiedenen Bewegungen und haben daraus dann im Grunde diese Klassifikation gebaut und auch diese Analyse hergezogen. Das hätte ich vielleicht noch im Vorhinein schon sagen sollen. Also was sie bei denen, die sie Rassisten nennen, erlebt haben, die ja meistens irgendwelche Brüche erlebt und machen dafür jetzt erstmal ganz diffus das System verantwortlich. So, weil irgendwer das System heißt jetzt nicht die Politik oder irgendeine verschwörerische Gruppe sondern das kann auch der Chef sein oder das kann irgendwie der Bürgermeister wäre jetzt wieder Politik aber das kann irgendwie alles mögliche sein was ihnen irgendwie von außen aufgedrängt wird, was sie nicht selber irgendwie in der Kontrolle und im Blick haben und dieses diese Brüche und dieser Gräuel gegen das System führt dann zum destruktiven Misstrauen und nicht einer konstruktiven Kritik. So, das ist so ein bisschen so die Gabel, habe ich so das Gefühl, wo die sagen, man kann halt entweder in Richtung konstruktive Kritik und aktives Gestalten erstmal abbiegen oder in Richtung destruktives Misstrauen und dann auch einfach ein Gefühl der Ohnmacht. Weil eben die Selbstwirksamkeit nicht ins Spiel kommt. Das System verspricht uns, wir werden alle gehört, wir dürfen uns alle beteiligen, aber was passiert denn faktisch? Da ist auch wieder genau dieses Motiv.

Amanda:
[1:05:03] Ja, wobei ich dann finde, ich verstehe dann die politischen Auswirkungen, sagen wir mal, in einem Zweiparteien-System, wo das hingeht, aber schauen wir auf Deutschland. Das wurde ja dann demokratisch kanalisiert, Wobei damit, also wir haben jetzt da ein Problem konkret mit der AfD, wo man sich dann fragt, ja lassen wir das dann doch zu oder nicht.

Nils:
[1:05:27] Ja genau, nur weil es eine Partei in einem demokratischen System ist, so muss ich es formulieren, ist es halt noch nicht unbedingt eine demokratische Partei. Und das ist ja genau das, was wir jetzt auch, wenn ihr das hier hört, vor ein paar Wochen oder noch früher, also wir reden jetzt gerade im Mai 2025. Was wir ja genau gerade hatten durch eben diese Erklärung, diese Einstufung als gesichert rechtsextrem. Das ist genau der Punkt, wo das hinkommt. Und diese politischen Konsequenzen finde ich ganz spannend, dass du das jetzt ansprichst, weil das ist genau der Punkt, den ich als nächstes stehen habe. Warum sich das so wendet, wie es sich gewendet hat. Da ist also dieses Gefühl der Ohnmacht, dieses Misstrauen, dieses Skepsis, dieses Brodelnde auch schon da. Und dann kommt 2015 die große die große Flüchtlingsbewegung. Auch gerade nach Deutschland, dann kommt der markante Satz, wir schaffen das.

Nils:
[1:06:25] Und mein Eindruck ist, wir haben das auch geschafft, wenn man mal auf die Fakten guckt. So, das ist ein anderes Thema. Aber das bietet auf einmal einen Kristallisationspunkt für diese diffusen Gefühle. Auf einmal gibt es für zentrale Akteure wieder, oder nicht für zentrale, oder für einzelne Akteure wieder die Möglichkeit, das auf die Ausländer zu schieben. Weil es ist politisch auf einmal groß, es wird drüber geredet und wir hatten das tatsächlich in Deutschland eine ganze Zeit ganz gut gefühlt im Griff, dieses Thema, aber dann 2015 wendet sich das eben mit der AfD steht auch eben eine politische Partei bereit, die das irgendwie aufgreifen kann und dann bietet sich das so ein bisschen als Kristallisationspunkt an, weil es auf einmal etwas gibt, worauf ich diese Gefühle projiziere und wo ich sie andocken kann. Auf einmal bin ich wieder, habe ich wieder handlungsmächtig, weil ich habe jetzt sowas, was ich zu verstehen glaube, wo ich was tun kann, ich kann dagegen demonstrieren und dann wird sich das schon so, dann machen die das schon so. Ich habe auf einmal dieses Thema. Das merkt man auch daran, das geben die jetzt aus ihren Interviews so wieder, da würden mich größere Umfragen tatsächlich interessieren,

Nils:
[1:07:36] Dass diesen Rassismus oder diese Forderung nach einer ausgrenzenden Politik, dass die weniger stark, also nicht gar nicht, aber weniger stark kulturalistisch geprägt ist. Klar, das wird immer mal wieder, das ist ein Motiv, aber dann eher aus den schon immer eher rechtsextremistischen Kreisen, sondern ganz stark eher so eine soziopolitische Kritik ist. So, die bekommen das Geld, die nehmen uns irgendwie die Jobs weg, die nehmen uns irgendwie die Wohnungen weg.

Nils:
[1:08:07] So, und eben nicht eine kulturalistisch explizite Ablehnung von dem Fremden oder den Ausländern. Weil sonst hätte man ja auch nicht diese Unterscheidung, die man ja auch immer wieder hat von den guten und den bösen Ausländern. Das ist ja auch so ein Motiv. Die, die uns was bringen dürfen, bleiben und die, die uns nichts bringen dürfen, gehen. Das ist eigentlich kein kulturalistisches Argument, weil man zumindest schon mal zugesteht, es liegt nicht daran, dass die Ausländer sind. Sondern es liegt nur daran, dass die Ausländer sind und uns nichts bringen. Ich hoffe, du verstehst die Anführungszeichen und das, was ich gerade da zitiere, auch als solches. Und da ist auch, glaube ich, was dran, so mein Eindruck. Weil mein Eindruck war irgendwie, wenn man in die 90er zurückdenkt in Deutschland mit Solingen und den Brandanschlägen, die es da gab und ähnliches, Da war das, oder Roland Kochs Kinder statt Inder, das war noch ein etwas anderes Argument. So, ich bin froh, dass, man sieht es in der AfD jetzt aber wieder hochkommen. Das ist, glaube ich, auch genau so ein bisschen der Punkt, dass es jetzt über diesen soziopolitischen Weg irgendwie wieder anschlussfähiger wird und auf einmal man dem dann auch zustimmt.

Nils:
[1:09:21] Genau, so, und dann kommen wir noch zu zwei Gruppen, die sie unter diesen ich weiß jetzt nicht, ob es nur bei den Rassisten ist oder bei, ich glaube, es geht über alle Gruppen hinweg, unterscheiden sie noch zwei Gruppen, nämlich die autoritären Innovatoren und die regressiven Rebellen. Das finde ich auch noch zwei sehr schöne Wörter. Also die autoritären Innovatoren, das sind die, die sagen, das bestehende System ist nicht in der Lage, das Problem, was auch immer jetzt genau das Problem ist, zu lösen. Das sind oft die Menschen, die so eine diffuse Angst haben, obwohl sie eigentlich persönlich es ihnen ganz gut geht. Die haben nur so eine diffuse Angst, dass das vielleicht nicht so bleibt. Wo dann auch vielleicht so ein bisschen eine Reaktanz darauf herkommt, warum die so empfindlich reagieren, wenn man sich auf die Klimakatastrophe anspricht. Das macht es nicht unbedingt einfacher zu glauben, dass es einem in Zukunft noch immer so gut gehen wird.

Nils:
[1:10:20] Und dann haben wir auch, da sieht man eben genau, nee stopp, wo bin ich jetzt gerade in meinen Notizen, genau, was bei denen aber der große Vorteil sozusagen noch ist, die stehen zumindest noch auf dem Boden der geteilten Realität. So, die sind irgendwie argumentativ auf eine gewisse Weise noch zugänglich, irgendwie Sachargumenten in der Realität, aber sind halt sehr, sehr frustriert, weil sie große Erwartungen ans demokratische System hatten, die aber nicht erfüllt worden sind, ans demokratisch-kapitalistische System. Und da wir den Kapitalismus komplett internalisiert haben und die Demokratie auch irgendwie eigentlich noch in Ordnung finden, richten sie sich halt auf die Fremden.

Nils:
[1:11:01] So, also das ist so ein bisschen das Motiv an der Stelle. Und dann haben wir noch die regastriven Rebellen. Das sind, sagen sie hier, oft kleine Selbstständige oder Dienstleister, das sind die, die die Macht des Kapitalismus im eigenen Leib erfahren, die Macht des Marktes und den Kunden so unmittelbar unterworfen sind und die sich so gegen die Sozialordnung als Ganzes irgendwie wenden. Die sich irgendwie auch nicht mehr komisch fühlen in der Gesellschaft, nicht mehr wertgeschätzt fühlen in der Gesellschaft und dafür andere verantwortlich machen. Und da bieten sich halt einfach die Fremden als das Ziel genau dieser Affekte einfach an, ohne dass sie jetzt sachlich oder inhaltlich irgendwas damit zu tun haben müssten. Und da gibt es noch ein schöner, ich glaube es ist ein Zitat, der Selbsthass ist trotz Anstrengung nicht geschafft zu haben, verwandelt sich in Hass auf Fremde. Und dieser internalisierte Selbsthass, da kommen wir dann aus der Internalisierung des Scheiterns und der Individualisierung des Scheiterns raus, genau zu diesem Prozess hin, dass sich der dann externalisiert. Und die nehmen sich halt die Macht, die sie sich nehmen wollen. Das ist dann so eine gewisse Selbstermächtigung. Ich lasse mir das jetzt nicht länger von irgendwem sagen, ich nehme das jetzt selber in die Hand.

Amanda:
[1:12:17] Ist auch so eine gewisse eine beicht abstinenz also wir sehen die schuld nicht mehr bei uns.

Nils:
[1:12:24] Ja sondern

Amanda:
[1:12:25] Nur noch bei den anderen.

Nils:
[1:12:26] Genau und eben nicht beim system was auch immer jetzt genau darunter versteht beim kapitalismus bei konkreten politikern bei konkreten entscheidungen sondern bei den fremden ja Also auf die wird es ja auch gerade kommunikativ immer mal wieder gerichtet.

Nils:
[1:12:43] Genau, das war im Grunde der ganz große Bogen. Nochmal kurz zusammengefasst, was diagnostizieren die beiden? Also diese Verabsolutierung individueller Freiheit. Meine eigene Freiheit steht über allem. Aber gleichzeitig eben von dem Gefühl, dass diese Freiheit in einem ganz engen Korsett von Zwängen steckt. Und das gibt natürlich irgendwie eine Spannung, Frustrationstoleranz. Sie haben auch das schöne Zitat, es sind Machtfragen, die im Register der Moral ausgetragen werden.

Nils:
[1:13:12] Das fand ich sehr, sehr schön, weil wer hat eigentlich noch Einfluss in dieser Gesellschaft? Es sind halt nicht mehr die alten Eliten, also nicht mehr die alten Intellektuellen, jetzt bei den gefallenen Intellektuellen, oder die mittelständischen Eigenheimbesitzer aus den baden-württembergischen Kleinstädten. Zumindest sind sie nicht mehr alleine. So. Und was sie dem Linksliberalismus vorwerfen, sagen es ist in gewisser Weise ein progressiver Neoliberalismus, da ist ja auch was dran, green growth und sowas, das sind ja genau diese Motive, der unterschätzt die materiellen Fragen. Und Schatz schafft damit so ein bisschen Raum für das Libertärautoritäre, also genau die gesellschaftlichen Verteidigungsfragen, die Frage nach der gefühlten Sicherheit und so weiter, das fand ich auch ein ganz schönes Argument, das ist ja auch so ein bisschen das Kernargument bei Bell Hooks, ich weiß nicht mehr, wie das Buch hieß, das wir ja auch im Podcast vorgestellt haben, gewesen, warum Klasse noch zählt oder sowas.

Nils:
[1:14:14] Was schlagen Sie vor, und das sind natürlich super abstrakte Vorschläge. Das eine ist Freiheit anzufangen, immer etwas Soziales zu begreifen. Nicht als etwas Individuelles. Wenn wir das hätten, wären wir schon weit. Und dann kommt auch wieder der Vorschlag, den ich aus ihrer Analyse raus teile, der aber auch an vielen Stellen wieder schwierig ist, wo man unglaublich aufpassen muss. Das ist Alternativen offenlegen und transparent kommunizieren und diskutieren. Das ist im Grunde genau das, was du auch gerade sagtest, dieses Expertise offenlegen, demokratisch offen diskutieren, das ist aber natürlich auch sehr, sehr voraussetzungsvoll, dass das funktioniert.

Nils:
[1:14:54] Was man noch so ein bisschen ausgelesen hat, das war so meine Schlussfolgerung raus, was vielleicht reichen würde, wäre zumindest mal anzufangen, den aktuellen Stand nicht so als bestmöglichen zu kommunizieren. Man merkt es ja jetzt wieder mit der Regierungsbildung in Deutschland, ich weiß nicht wie du das mitkriegst so ja und wir werden das lösen und wir werden das verbessern und wir werden das verändern und es glaubt im Grunde schon niemand mehr dass die wirklich Dinge lösen, verbessern oder verändern das war ja auch so ein Politikstil, den man jetzt im Wahlkampf zumindest bei den Grünen sehr gesehen und der auch sehr gelobt wurde von vielen dieses offene und wir müssen da gucken und wir müssen da abwägen und wir sind uns da nicht sicher demokratisch belohnt worden ist es nicht auch wenn ich persönlich es für das Richtige halte man muss konstatieren, dass es demokratisch nicht belohnt worden ist deswegen bin ich mir da auch nicht so sicher, wie weit das eine Lösung ist auch wenn das ist im Grunde erstmal das Zielbild wenn wir da sind, dass wir das können, dann haben wir eine Menge gewonnen, aber wie kommen wir da hin, dass wir das können und da sagen sie leider nichts zu aber das war jetzt auch der Ritt durch dieses Buch durch diese 400 Seiten und hast du noch Fragen?

Amanda:
[1:16:05] Nein, vielen Dank Nils für die Vorstellung.

Amanda:
[1:16:12] Sollte ich gleich mal überleiten, was mir an Literatur eingefallen ist? Ja, gerne. Okay. Ich mache es kurz mit den Episoden. Ich glaube, ganz viele Episoden würden zum Thema passen, die wir aufgenommen haben. Du hast die Unterwerfung von Philipp Blum erwähnt. Das ist Folge 81. Mir ist noch der Allesfresser von Nancy Fraser in den Sinn gekommen, wo es auch so um Kapitalismus geht und wie der halt seine eigenen Grundlagen eigentlich auffrisst und zerstört. Kann man so ein bisschen auch übertragen auf diese Regression, die sie konstatieren, also Fortschritt und Regression. An Büchern hätte ich drei Empfehlungen. Und zwar einerseits ist das ein kleines Büchlein herausgegeben von Steffen Mau und Nadine Schöneck, Ungerechte Ungleichheiten. Wobei das UN immer in, wie sagt man? Klammern. Klammern steht, genau. Da sind verschiedene kleine Essays zum Thema. Ein anderes Buch, das ist von Christoph Möllers und heißt Freiheitsgrade. Das passt auch sehr gut zum Thema. Auch da wird diskutiert, natürlich aus verschiedenen Sichtweisen, wie kann Freiheit verstanden werden? Auch eben, wie kann individuelle Freiheit die gesellschaftliche Freiheit einschränken? Und auch umgekehrt.

Amanda:
[1:17:33] Ich tue mich ein bisschen schwer als Laie, wie man dann liberal, libertär und so genau voneinander abgrenzen kann. Aber ja, das kann man sehr gut lesen. Es ist sehr gut oder sehr klar strukturiert, das Buch. Ich kann man sich mal anschauen. Und die letzte Empfehlung … Es springt da ein bisschen ab. Hier liegt Bitterkeit begraben über Ressentiment und ihre Heilung von Fleury. Ich weiß nicht mehr, ich habe den Vornamen vergessen. Das ist ein Buch, das wurde sehr gefeiert und unternimmt den Versuch, dieses Gefühl des Ressentiments, das du auch genannt hast, auch psychoanalytisch und gesellschaftlich zu verknüpfen. Also was ist das Verhältnis davon, wie kann man das aufgreifen und ich finde das, also es ist wirklich ein sehr gutes Buch und kann ich sehr empfehlen.

Nils:
[1:18:37] Ja, danke dir. Ja, ich habe glaube ich tatsächlich so die meisten Züge, die ich gezogen habe, im Text schon gemacht. Ich habe das nochmal kurz angesprochen, die Vereindeutung der Welt, weiß ich gerade nicht mehr, wie der Autor heißt, haben wir in Episode 20 vorgestellt. Bietet sich da auch noch eben an Hartmut Rosas Resonanz, zumindest der erste Teil, der so ein bisschen seine Gesellschaftsdiagnose ist. Da kann man sicherlich aber auch seine Beschleunigung für lesen. Und dann eben das Buch von Bell Hooks, das wir hier im Podcast vorgestellt haben, das ist mir auch noch eingefallen. Das lässt sich da sicherlich auch noch mal ganz gut anschließen, eben genau für diesen Aspekt des Materiellen. Und dann tatsächlich das Buch, was ich euch ganz am Anfang des Podcasts schon angesprochen habe von Mark Fischer, Capitalist Realism. Das sind tatsächlich nur 100 Seiten, aber das fasst das einmal sehr schön zusammen, wie wir irgendwie in diese Situation gekommen sind, dass wir diesen komischen Kapitalismus so absolut setzen und eigentlich als eine Gegebenheit unserer Welt sehen, fast schon naturgesetzlich und nicht als ein gesellschaftlich gestaltetes Ding, mit dem man irgendwie auch anders umgehen könnte, wenn man das wollen würde. So, genau, das wären jetzt meine Vorschläge auch schon gewesen. Es gibt da draußen noch unglaublich viel andere Literatur. Wer mir auf Mastodon folgt oder meinen Blog liest oder abonniert oder so, der kriegt da auch regelmäßig Texte und Argumente, die genau in diese Richtung gehen, noch weiter frei Haus geliefert.

Amanda:
[1:20:02] Sehr schön. Vielen Dank, Nils. Es bleibt mir zu sagen, ihr könnt uns hören auf Zwischenzweidecken.de. Das ist unsere Webseite. Dort findet ihr auch alle Infos zu den Folgen, zu unserem Podcast. Natürlich könnt ihr euch die Folgen runterladen, von welchem Podcatcher auch immer ihr nutzt. Wir freuen uns immer auf Rezensionen, auf Sternchen, was auch immer, ihr uns da verteilen mögt. Zu finden auf Social Media sind wir auf Blue Sky unter dem Handy Deckeln und auf Mastodon unter zcd-podcast.social. Ich bedanke mich nochmals Nils für die Vorstellung und ich freue mich auf das nächste Mal.

Nils:
[1:20:45] Tschüss zusammen. Sehr gerne, bis dann.

Music:
[1:20:47] Music

Quellen und so

Intro und Outro der Episode stammen aus dem Stück Maxixe von Agustin Barrios Mangore, eingespielt von Edson Lopes (CC-BY).

Das Umblättern zwischen den Teilen des Podcasts kommt hingegen von hoerspielbox.de.

Zwischen zwei Deckeln findest du auch im sozialen Medium deiner Wahl: Mastodon und Bluesky.

Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert