095 – „Vertrauensfragen“ von Ute Frevert

Ute Frevert rekonstruiert in „Vertrauensfragen – eine Obsession der Moderne“ die Veränderungen des Vertrauensbegriffs über die letzten Jahrhunderte. Sie verfolgt diese Entwicklung von den Anfängen, als man nur Gott vertrauen sollte, über die Romantik, die Vertrauen zur Grundlage der Liebesehe machte, bis hin zur heutigen Verwendung des Begriffs in Politik und Wirtschaft. Dabei zeigt sie, wie Vertrauen von einer privaten, intimen Gefühlshaltung zu einem universellen Werbewort geworden ist. Dabei plädiert die Autorin dafür, zwischen systemischer „Zuversicht“, die moderne Institutionen durch Verlässlichkeit und Transparenz schaffen, und echtem „Vertrauen“ zu unterscheiden, das nur in persönlichen, intimen Beziehungen seine Berechtigung hat.

Shownotes

Quellen

Intro und Outro der Episode stammen aus dem Stück Maxixe von Agustin Barrios Mangore, eingespielt von Edson Lopes (CC-BY).

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Transkript

Music:
[0:00] Music

Amanda:
[0:16] Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Zwischen zwei Deckeln, dem Sachbuch-Podcast, in dem wir euch alle drei Wochen, ihr werdet es kaum glauben, ein Sachbuch vorstellen. Ich bin Amanda und ich habe heute Christoph mit dabei.

Christoph:
[0:30] Hallo zusammen.

Amanda:
[0:32] Hallo. Was steht bei dir gerade an, Christoph?

Christoph:
[0:35] Ich habe es im Vorgespräch gerade schon gesagt, vor allen Dingen ganz viel Ehrenamtsvorbereitung, weil ich, also wenn der Podcast erscheint, ist unsere Ferienfreizeit schon vorbei, aber grundsätzlich fahre ich jetzt auf Ferienfreizeit und dafür ist immer viel vorzubereiten, viel zu tun. Ja, das mache ich gerade. Was machst du?

Amanda:
[0:57] Ja, ich finde das immer sehr faszinierend, weil bei uns gibt es, also das gibt es wahrscheinlich schon, aber ich kenne das wie eigentlich nicht in der Schweiz, dass man das so macht, Ferienfreizeit. Deswegen finde ich das sehr, sehr cool, dass du das machst und dass es das gibt in dieser Form bei euch. Bei uns, ja, Ferien stehen jetzt dann auch bald an. Ich bin aber im Moment eher ein bisschen mit Nicht-Ferien beschäftigt. Ich muss eine Arbeit schreiben. Da geht es um Roboter und Intimität. Ich versuche da herauszufinden, wie Intimität, die sich ja in der Sozialwissenschaft, ist das ein Phänomen, das sehr unterschiedlich konzeptualisiert wird, wie sich das übertragen lässt auf die Robotik. Weil dort hat man ja eher so ein bisschen ein sehr, ich sag mal, kognitivistisches Credo eher und ja, ob sich das vereinen lässt. Deswegen lese ich ziemlich viele Papers darüber und ja, beschäftige mich ein bisschen mit dem Thema.

Christoph:
[1:58] Es klingt auf jeden Fall total spannend. Ich habe ja für so Robotik auf jeden Fall so ein kleines Nebenfable, auch wenn ich es jetzt länger nicht bespielt habe. Das klingt richtig gut.

Amanda:
[2:08] Ja, ist auch. Nur ich finde immer, wenn man dann so ein bisschen den Zwang zu hat, gewisse Dinge zu lesen, dann nimmt der Spaß daran proportional ab. Aber ja, das gehört dazu. Ja, heute stellst du uns was anderes vor und zwar das Buch Vertrauensfragen von Ute Frewert. Ute Frewert ist eine deutsche Historikerin. Sie ist im Moment Präsidentin der Max-Weber-Stiftung, hat aber früher an der Uni Bielefeld und in Yale gelehrt und war auch am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin Direktorin.

Christoph:
[2:50] Genau. Ich habe vergessen, in die Schaunouts reinzuschreiben, dass das Buch bei C.H. Beck erschienen ist und von 2013, glaube ich, ist. Also ein bisschen älter, aber das ist ja bei so historischen Büchern vielleicht nicht ganz so schlimm.

Amanda:
[3:03] Ja, das klingt auf jeden Fall sehr interessant. Vertrauen ist auch so ein Begriff wie Intimität. Da gibt es sehr viele unterschiedliche Auffassungen zu, würde ich mal sagen. Deswegen bin ich gespannt, was du uns erzählen willst. Machst du gleich das TLDL?

Christoph:
[3:19] Ja, gerne. Die moderne Institutionen durch Verlässlichkeit und Transparenz schaffen und echten Vertrauen zu unterschreiben, das nur in persönlichen, intimen Beziehungen seine Berechtigung hat.

Christoph:
[4:02] Ja, genau, das ist so der Aufriss. Ich muss für unsere Hörerinnen einmal ganz kurz sagen, ich habe es Amanda im Vorgespräch schon gesagt, ich habe hier leider relativ laute Bauarbeiten gerade bei mir zu Hause und genau, dagegen kann ich nichts tun und ich hoffe, es kommt auf der Aufnahme nicht so durch und vielleicht erwischen wir auch eine relativ ruhige Minute. Genau, ich gebe in der Postproduktion alles, das rauszufiltern, aber seht es mir im Zweifel nach, bitte.

Christoph:
[4:30] Ja, also sie startet in das Buch mit der zentralen Ausgangsfrage oder Problemstellung, dass sie sagt, naja, Vertrauen mir ist so ein Satz, der unseren Alltag durchzieht, ohne dass so richtig erklärt wird, was damit eigentlich gemeint ist. Und sie stellt sich die Frage, warum eigentlich ausgerechnet an Vertrauen appelliert wird und nicht an zum Beispiel Glauben oder Zuversicht, Sympathie oder auch an den Eigennutz, sondern dass Vertrauen so im Zentrum steht. Und sie sagt, dass Vertrauen in unsere Alltagskommunikation also offensichtlich so natürlich ist, dass es nicht eigens erklärt oder begründet werden muss. Und sie geht dem Ganzen anders nach. Da vielleicht schon ein ganz kleiner Einschub, wie bin ich auf Ute Frewart gekommen? Ich habe mal das Buch Ehrenmänner von ihr gelesen. Im Studium war das bei uns Thema. Da beschäftigt sie sich mit dem Duell als Sozialform und wie sich das entwickelt hat und warum es dann irgendwann ausgestorben ist. Und weil so der Ehrbegriff entstanden ist. Und wir haben ja in Deutschland stark den Begriff der Würde auch. Und ich glaube, sie ist einfach so eine Gefühlshistorikerin und geht eben Gefühlen oder Begriffen so auf den Grund. Und das hat sie jetzt bei Vertrauen eben auch gemacht. Aber so bin ich auf sie gekommen und fand das irgendwie ganz, ganz spannend.

Amanda:
[5:48] Das klingt interessant. Das Wort Ehrenmann, das ist, was bei uns ein bisschen lustig klingt, weil im Moment ist das so Slang bei kleinen, nicht bei kleinen Kindern, aber so ist es in Deutschland auch, dass man so sagt, bisschen Ehrenmann.

Christoph:
[6:04] Also wir betonen es anders, aber ja, wir sagen das auch. Oder nicht wir, aber ja. Bestimmt die Jugendlichen, die ich ab dem Wochenende sehe, die ganz sicher. Das, was sie voranstellt auch im ersten Kapitel ist, dass Vertrauen erstmal nicht universal ist. Also genauso wie Liebe ist auch Vertrauen von soziokulturellen Rahmungen abhängig und was wir heute unter Vertrauen verstehen, unterscheidet sich dann doch irgendwie erheblich von früheren Epochen.

Christoph:
[6:31] Was Sie ganz spannend findet und das finde ich auch spannend, deswegen habe ich es mitgenommen, ist, dass der Begriff in allen europäischen Sprachen existiert und im Englischen sogar doppelt als Trust and Confidence und dann eben mit unterschiedlichen Konnotationen. Also da meint es ja verschiedenes.

Christoph:
[6:47] Und was auch noch ganz, ganz interessant ist als Vergleich, der Conman ist im Englischen jemand, der Vertrauen erschleicht, während die Vertrauensperson oder der Vertrauensmann in Deutschland deutlich oder im Deutschen sehr positiv besetzt ist. Also den Begriff gibt es überall, aber die unterschiedlichen Wertungen sind eben ein bisschen verschiedentlich und sie greift dann noch die Anwendungsbereiche des Vertrauens auf, das ist einmal Politik, also wir haben sowas wie die Vertrauensfrage im Parlament als Instrument politischer Kontrolle oder Legitimation und dann natürlich aber auch als Werbethema, darauf kommt es im letzten Kapitel stark zu sprechen, in der Wirtschaft ist es mittlerweile ubiquitär, also Konsumentscheidungen werden an Vertrauensappelle geknüpft.

Christoph:
[7:29] Persönliche Beziehung, gerade zwischen Liebenden oder auch zwischen FreundInnen, ist es ein wichtiges Komplex und die übergreifende Frage, die sie sich stellt, ist, was Vertrauen zwischen den Liebenden mit dem politischen oder wirtschaftlichen Vertrauen eigentlich verbindet oder ob es da Verbindung gibt. Vertrauen kann als riskante Vorleistung, der Begriff kommt von Niklas Luhmann, den kennt ihr ja mittlerweile auch, sie war in der Uni Bielefeld, also ich glaube, sie hatte auch gewisse Verbindungen zu, leider macht sie den theoretischen Bezug in ihrem Buch nicht so stark, wie ich es mir gewünscht hätte, aber Luhmann sagt, Vertrauen ist eine Investition und eine riskante Vorleistung, die Früchte tragen soll, also es ist etwas, was ich einer anderen Person entgegenbringe, in der Hoffnung, dass sich das auszeigt gewissermaßen.

Christoph:
[8:17] Und das ist ein kleiner Einschub von mir, Vertrauen geht da als moderner Mechanismus zur Komplexitätsreduktion. Wenn ich Vertrauen in die Welt gebe oder zu anderen Personen, dann muss ich mir nicht so viel Gedanken machen. Also ohne Vertrauen lohnt es sich nicht, morgens aus dem Bett zu steigen, beziehungsweise sie macht dann den Unterschied zwischen Vertrauen und Zuversicht aus, aber wenn wir gar kein Vertrauen oder keine Zuversicht in die Welt haben, dann müssten wir eigentlich gar nicht aufstehen und nur so kommen wir durch die Welt. Ja, natürlich hat es aber auch eine Gefühlsdimension und das ist insofern spannend, sie macht den Vergleich zum Lach-Yoga auf, wo sie sagt, naja, wir wissen mittlerweile, Aktionen können Gefühle hervorrufen und nicht nur Gefühle bringen Aktionen hervor. Also wir können lachen, wie beim Lach-Yoga und dann empfinden wir Freude, dadurch, dass wir lachen und nicht andersrum. Und das ist beim Vertrauen ein bisschen anders, weil es immer mindestens zwei Parteien braucht. Also ich kann mir selbst vertrauen, ja, aber auch da begegne ich mir ja spiegelbildlich. Es geht immer um das Verhältnis zu etwas anderem und selbst im Zweifel zu mir als etwas anderem.

Christoph:
[9:27] Grundsätzlich kann man aber natürlich sagen, dass Selbstbeschreibungen Vertrauen immer als positive und wohlige Erfahrung beschreiben und genau, sie hat dann noch ein ganzes Kapitel zur Pädagogik, aber grundsätzlich kann man mal sagen, dass Vertrauen auch als etwas skizziert wird, was gelernt werden muss. Also es ist nichts, was uns einfach gegeben ist, sondern es ist ein, ja, also wir wissen oder wir haben es mittlerweile zumindest geframed, als dass Menschen, die nicht vertrauen können, auf jeden Fall in ihrer Persönlichkeitsentwicklung eine Beeinträchtigung haben. Das kann man, glaube ich, so sagen. Ja, das so zum Start erstmal und dann geht sie dazu über, vom 18. Jahrhundert aus Lexikon-Einträge zu vergleichen. Sie sagt, Lexikon-Einträge sind hervorragend, damit man skizzieren kann, was sich eigentlich in einer gewissen Epoche unter einem Begriff vorgestellt wurde. Und da startet sie eben 1746 und dort wird in einem Lexikon geschrieben, dass es Vertrauen nur unter wahren Christen gebe und zwar in ihrem Verhältnis zu Gott.

Christoph:
[10:33] Anderen Menschen zu vertrauen scheint da noch relativ naiv, also nur Gott kann man komplett vertrauen und nur das ist wirklich belastbar, das mit den Menschen ist eher schwierig. Ein bisschen Ausnahmen gibt es, wenn man seinem Arzt, seiner Ärztin vertraut, das ist so ein bisschen anders. Finde ich dann ganz spannend mit diesem ganzen Kontext Halbgott, der Arzt als Halbgott. Ich weiß nicht, ob man da eine Verbindung ziehen kann, macht sie jetzt in dem Buch nicht. Aber es sind so Sachen wie, fällt das Vertrauen weg, so haben die Medikamente schon die halbe Kraft verloren. Aber das sind halt die wirklichen Ausnahmen.

Christoph:
[11:06] Man solle nicht auf andere Menschen vertrauen. Das wird so ein bisschen mit religiösen Erneuerungsbewegungen anders. Die hatten ein bisschen lockeres Verhältnis zum zwischenmenschlichen Vertrauen und zwischen den Brüdern und Schwestern in brüderlichen Gemeinschaften, sowas wie Orden und so, gibt es dann die zärtliche, vertrauliche, übereheliche Liebe, die dann irgendwann einkehrt. Also da entwickelt sich das so langsam. Und dann im 19. Jahrhundert gibt es dann so eine wirkliche Abkehr von dieser religiösen Dominanz, sondern da kommt dann diese relationale Perspektive stärker raus, die ich gerade eben schon angesprochen habe. Also die Beziehung zwischen einem Kaufmann und einem Kunden wird hervorgehoben. Ein Kaufmann hat Vertrauen, wenn man ihm sein Geld und Geldeswert in gewisser Hoffnung, dass es sicher bei ihm sein werde, übergibt. In Klammern, er hat Kredit. Also da kommt so das erste Mal was Wirtschaftliches auf. Und trotzdem bleibt es aber nicht so ein rationales Kalkül, sondern es gilt weiterhin als etwas zum Wohlfühlen.

Christoph:
[12:05] Und es wird auch ein bisschen aufgemacht, dass wenn jemand niemandem vertraue, dann bleibe diese Person einsam, kalt und lieblos. Und das gilt in dieser Zeit, also im 19. Jahrhundert, als das größtmögliche Unglück, weil der Freundschaftskult damals sehr groß war. Also Freundschaften waren super wichtig und Freundschaft ohne Vertrauen war dann nicht mehr denkbar. Und der vertraute Freund zum Beispiel war eine Tautologie. Also jemand, dem man vertraut ist, mit dem ist man automatisch befreundet. Und wenn man einen Freund, eine Freundin hat, dann vertraut man dieser Person auch. Sie macht nochmal den ganzen Punkt der nationalsozialistischen Instrumentalisierung auf.

Christoph:
[12:45] Also wie gesagt, diese Vertrauensbeziehung zu Gott verliert an Dominanz und es entstehen schon davor und auch im 19. Jahrhundert entsteht sowas wie der Vertrauensarzt, der Vertrauensmann, das Vertrauensamt, der Vertrauensbeweis, die Vertrauensstellung, alles so Begriffe, die dann neu geschöpft werden. ähm, Und sie sagt, in der Zeit wird Vertrauen zum Lieblingswunsch der Moderne, weil es so viel Wohlgefühl für den Beschenkten als auch den, der es schenkt, bringt. So, das ist die Skizzierung da. Und dann, genau, ich habe gerade schon gesagt, nationalsozialistische Instrumentalisierung, da wird Vertrauen zu einer der wichtigsten Aufgaben der Erziehung. Natürlich ist damit aber nicht nur das Vertrauen untereinander gemeint, sondern natürlich vor allen Dingen das Vertrauen in den Führer, in Adolf Hitler. Das ist total wichtig, dass man in diesem Kontext irgendwie eine Führergefolgschaft an den Tag legt. Und in den Betrieben, ich bin ja nun auch Gewerkschafter.

Christoph:
[13:50] Gab es schon länger das System des Vertrauensmanns, also einer Person, die man wählt von den Beschäftigten, die dann in den Konflikt treten kann oder in die Beratung mit der Geschäftsführung. Und das soll aufgehoben werden. Also es gibt dann Vertrauensräte, der Begriff bleibt, aber die sollen den Gegensatz von Kapital und Arbeit aufheben durch ein Band des persönlichen Vertrauens. Also das ganze Gegeneinander in einer marxistischen Lesart, in der modernen Arbeitsweise wird da aufgehoben quasi. Und ja, da wird der Begriff also ein Stück weit ausgehöhlt.

Christoph:
[14:27] Und dann in der Nachkriegszeit, also ab den 1950er Jahren, gibt es nochmal eine grundlegend erneuerte Diktion und Vertrauen findet seinen Ort dann eher in der Familie, in der Ehe und in der Freundschaft und im Verhältnis von Arzt und Patient, das ist jetzt aus dem großen Brockhaus, also das Arzt-Patient-Innen-Verhältnis, das bleibt.

Christoph:
[14:49] Und ja, genau, so langsam kehrt es dann auch als Vertrauen in Funktionssysteme ein, also im Berufsleben, Wirtschaftslesen.

Christoph:
[14:58] Das Thema Vertrauenskrise in der Politik kommt so langsam auf, da geht das dann so ein bisschen los, dass es auch auf andere Funktionssysteme, das ist jetzt meine Lesart, übertragen wird. Und ab den 1970er Jahren gibt es dann noch so das ganze Thema Psychologisierung und Urvertrauen. Also Eriksson ist da glaube ich so der Pädagoge oder Psychologe, den man nennen muss. Das ganze Thema, das ursprüngliche Vertrauen im Verhältnis des Kindes zur Mutter ist so das, was aufkommt und das Urvertrauen als Grundlage für soziale Kompetenz und emotionale Sicherheit. Also im Prinzip zur Personenwerdung wird Vertrauen da ganz massiv angeführt. Und ohne Vertrauen seien Menschen nicht in der Lage, positiv zu denken und ein gutes Leben zu führen. Also das, was ich gerade eben schon mal angerissen habe. Ja, was auffällt, wir haben eine durchgängig positive Bewertung des Begriffs, auch wenn er sich so ein bisschen verschiebt über die Zeit, aber das bleibt.

Christoph:
[15:56] Und wir haben drei Hauptbewegungen im Prinzip. Wir haben diese Säkularisierung, weil das Gottvertrauen sich ein Stück weit abschwächt und das Vertrauen in Menschen deutlich an Bedeutung gewinnt. Wir haben eine Expansion von den persönlichen Beziehungen auf entferntere, weniger intime Verhältnisse und die Psychologisierung. Also Vertrauen wird zur Grundlage der psychischen Gesundheit. Das sind so die drei Sachen, die man vielleicht rausnehmen kann. Alles anhand von Lexikon-Einträgen gearbeitet. Das muss man vielleicht ergänzend dazu sagen, weil ja, ich weiß nicht genau, wie prägend das für die ganz breite Bevölkerung im 18. und 19. Jahrhundert war.

Amanda:
[16:37] Ich bin gespannt, ob sie jetzt so auch eine, also im Moment hast du einfach Begriffe oder den Begriff Vertrauen und die Verwendung des Begriffs genannt in unterschiedlichsten Kontexten und macht sie jetzt auch so eine eigene Definition, also sucht sie sich sozusagen den semantischen Gehalt daraus, den sie dann auch untersuchen möchte oder geht es wirklich darum, einfach Vertrauen als Begriff und der Wandel des Begriffes darzustellen im Buch?

Christoph:
[17:02] Nee, es geht schon primär darum, die Entwicklung nachzuzeichnen. Also so einen eigenen Begriff, so benutzt man Vertrauen jetzt richtig oder so, das macht sie nicht so sehr. Sie hat am Ende auf jeden Fall die Kritik, die Unterscheidung, Zuversicht und Vertrauen drin und das Thema Funktionssysteme und persönliche Beziehungen. So, worum geht es denn eigentlich bei dem Begriff und was verwechselt man da? Das schon, aber sonst eher nicht. Sie geht dann weiter auf den Wandel des Vertrauens in Liebesbeziehungen und der Ehe ein. Sie zitiert ja ganz viel Wagners Lohengrimm, das kann ich nicht besonders gut wiedergeben, weil ich zum einen mit Opern, zum zweiten mit Wagner und so einfach nichts zu tun habe. Also für mich ist es, genau, zu mir spricht es nicht so richtig, deswegen gehe ich da nicht so richtig drauf ein. Aber genau, für die Interessierten da draußen, die Beziehung zwischen den beiden ist ein offensichtlich modernes Verständnis ehelicher Liebe und diese Liebe verträgt keine Geheimnisse und basiert auf Offenheit, Transparenz und wechselseitigem Vertrauen. Das vielleicht dazu wenn ihr die opa kennt dann sagt euch das sicher mehr als es jetzt mir sagt ich weiß nicht ob das ob das ein themenfeld für dich ist.

Amanda:
[18:22] Ähm, nee, also nee, aus dem Schlegreif wüsste ich jetzt auch nicht. Aber ich weiß, dass es sehr, ich sag mal, wenn es um Vertrauen und Hochzeit geht, dann ist es auf jeden Fall die Musik, die man sehr oft dazu hört.

Christoph:
[18:38] Naja, aber die Romantiker auf jeden Fall so um Friedrich Schlegel ging bei der Ehe dann so langsam von zwei selbstständigen Menschen aus, die sich einander ohne Wenn und Aber anvertrauten. Und ich würde sagen, das ganze Thema, man hat keine Geheimnisse voreinander, in einer Liebesbeziehung ist was, was sich gehalten hat. Ich würde sagen, das ist immer noch ein Ideal, was wir vorfinden.

Christoph:
[18:57] Ich kenne, glaube ich, keine Beziehung zumindest, die besonders ohne, also die irgendwie, in denen das ganz normal ist, dass es keine, dass es Geheimnisse voreinander gibt. Also ich habe das Gefühl, das persistiert so. Weiß nicht, ob du da mitgehen würdest. Doch, doch. Ja, dass eine Ehe auf Liebe gründet, das war natürlich so bis zur modernen Ehe, keine Ahnung, irgendwann ab dem vielleicht in Teilen spätes 18. Jahrhundert, dann 19. Jahrhundert so langsam, das war überhaupt nicht vorgesehen. Also so eine Ehe wurde geschlossen, um Arbeit zu teilen, Vermögen zu mehren, Besitz zu vererben oder religiöse Fortschriften zu befolgen. Also Liebe, das vielleicht dazu, das hat… Also habe ich in meinem Studium gelernt, da habe ich einmal so ein umfangreiches Seminar zur Liebe belegt, war im Prinzip lange was, was den Reichen und Schönen vorbehalten wurde. Also wenn man Nebenbeziehungen führen konnte, die konnten dann liebevoll sein, aber so für die allgemeine Bevölkerung war das nicht unbedingt was. Das ist ein ziemlicher Luxus des Adels im Prinzip, Liebesbeziehungen führen zu können.

Christoph:
[20:09] Gleichzeitig gab es natürlich Pflichten füreinander, also wechselseitigen Respekt und Fürsorge, das war schon gewünscht und vorgesehen, aber leidenschaftliches Begehren und Hingabe halt nicht. Aber dieses ganze Thema Pflichterfüllung zueinander ist auf jeden Fall was gewesen. Und dann im neuen romantischen Liebescode nahm Vertrauen dann eben einen zentralen Stellenwert ein und sich vertrauen, verloben, vermehlen, waren alle auch so relativ äquivalent zueinander, wie heißt das, synonym benutzt. Also sich vertrauen war das gleiche wie sich verloben, sich vermehlen, spannenderweise.

Amanda:
[20:47] Ich finde das interessant, weil vorhin hast du gesagt, anfangs oder früher war das eher dann die Pflicht und da gibt es ja auch ein Vertrauen zu. Also man kann ja auch sozusagen darauf vertrauen, dass jemand seine Pflicht erfüllt. Und dann projiziere ich das Vertrauen zwar nicht auf die Person, aber auf das Regelwerk, in dem die Person handelt.

Christoph:
[21:06] Das finde ich einen guten Punkt, stimmt. Ja, sehe ich auch so. Und das wäre dann vielleicht auch der Übertrag da rein, dass wir heute darauf vertrauen. Und da würde sie sagen, naja, ob das so richtig ist, dass unsere Straßenbahn zur Arbeit morgen wieder fährt. Und das ist vielleicht, ja, also ein Vertrauen in Regelwerke gibt es sicherlich, gab es sicherlich damals auch. Sie würde, glaube ich, sagen, dass sich das in der modernen Gesellschaft ausgeweitet hat, dass man früher weniger Vertrauen da reinsetzen konnte, dass die Welt morgen noch genauso funktioniert wie heute. Läuft ein bisschen konträr zu den Krisensemantiken, die wir so haben. Aber ich würde zumindest sagen, der Alltag, den wir so in den westlichen Gesellschaften bestreiten, auf den können wir relativ gut vertrauen, dass der so, dass der ganz gut läuft.

Christoph:
[21:54] Wo war ich auch bei der Romantik? Klingt wie eine ganz anstrengende Phase, finde ich übrigens. So alles, was damals geschrieben wurde, als das losging und so, es klingt alles, ist ja auch immer alles sofort mit so, alles endet immer mit Suizid und nur Drama und fürchterlich. Also ich finde, es klingt wahnsinnig anstrengend. Die Frage, die sich natürlich bei der Romantik stellt, wenn man sich am Ende der Liebe, wenn sie dann verflogen ist, nicht direkt suizidieren möchte, dann ist ja ein bisschen die Frage, wie man sich, wie sich Gefühle auf Dauer stellen lassen. Wir können ja nicht uns alle umbringen, nur weil irgendwie die rosa-rote Brille abgesetzt ist. Also die Frage danach, was passiert, wenn die erste Leidenschaft weg ist. Und da ist dann Vertrauen irgendwie so ein maßgeblicher Faktor, den man einbauen soll. Und wenn man feststellt, dass das funktioniert, hat das doch einen Eigenwert und das ist toll, das kommt dann so raus und ja, das ist das, was kommt. Später kommt dann noch die Treue dazu, also ein bisschen, ich habe über Ehre und Würde gesprochen in dem anderen Buch. Treue und vertrauen liegen ja auch irgendwie nah beieinander und tauchen dann im 19 jahrhundert oft als synonyme auf mein ja dann jetzt heute aber auf jeden fall schon noch mal was anderes und das, Es geht da dann langsam los, aber dann ist es eben noch synonym verwendet.

Christoph:
[23:21] Ich überlege gerade, wie ich gut weitermache. Ja, 20. und 21. Jahrhundert, da ist, glaube ich, nochmal zu sagen, die kameradschaftliche Treue zueinander, die wird nochmal hervorgehoben. Die gibt es natürlich parallel. Das ist dieser ganze Militärskult, den wir ja gerade hier im Wilhelminischen Deutschland auch stark hatten. Da ist das nochmal irgendwie wichtig und zentral. Und der liegt halt, der wird semantisch ähnlich benutzt. Sie meint aber natürlich, ist das irgendwie unterschiedlich. Wenn man zusammen mit jemandem in einem Schützengraben ist, dann bleibt ja nicht so richtig was anderes, als dieser Person zu vertrauen. Das ist was anderes als das Vertrauen, das wir in Freundschaften oder in der Liebe aufbauen. Weil das viel freiwilliger gewählt ist und deinem Soldaten, Kamerad, dir bleibt nichts, als dem zu trauen. Und genau, ihr seid beide treuer, geben dem Vaterland schön und gut, aber ihr seid da in einer Zwangssituation. Ja. Also die israelische Soziologin, die ganz viel zu Gefühlen arbeitet und ganz viel zu Liebe arbeitet.

Christoph:
[24:35] Auf die kommt sie nochmal zu sprechen und sie meint, wir erleben jetzt das Gefühl in die Logik ökonomischer Beziehungen und Transaktionen eingepasst wird. Das Buch ist von 2013, das kann man jetzt sicherlich mit mit den Entstehungen von allen Dating-Apps und so nochmal, kann man sicherlich nochmal schärfer skizzieren oder könnte man. Und trotzdem besteht aber irgendwie der romantische Traum weiter fort. Also obwohl das alles so rational wirkt, bekennen sich Menschen weiterhin zum Traum der Romantik, dass das auch der ihre ist. Zumindest sagt sie das. Ich kann das jetzt empirisch nicht direkt prüfen, aber ich würde das zumindest als Semantik, würde ich da, glaube ich, mitgehen erst mal, so gefühlt.

Christoph:
[25:19] Ja, also wir haben Liebe und Vertrauen, die irgendwie nah beieinander sind. Und sie sagt, vielleicht kann man heute sagen, dass sie ein bisschen kürzer getaktet werden, also so das ganze Thema serielle Monogamie vielleicht auch, das hat sie jetzt nicht mit drin. Ich weiß auch nicht, ob es 2013 als Begriff schon so etabliert war, aber wir haben Liebe und Vertrauen, aber vielleicht in einem schnelleren Wechsel zwischen den Personen und einer Anlegung auf Wiederholung und sie meint, damit verliert dieser Liebes- und Vertrauensbegriff ein bisschen das, was ihn eigentlich ursprünglich mal ausgezeichnet hat. Also Exklusivität einerseits zu einer Person und auch die Totalität. Es geht nur um diese eine andere Person. Ja, weiß ich nicht, steht mir jetzt nicht so nah diese Perspektive, aber ich wollte sie euch zumindest mitgeben. Genau, dann kommt sie im nächsten Kapitel zu Freundschaften als gewählte Vertrauensbeziehung. Und ursprünglich war es mal so, dass sich Männer Männer an Vertrauen und Frauen suchen, die Gesellschaft vertrauter Freundinnen. Also Freundschaften zwischen Mann und Frau waren ziemlich unverstellbar im 18. Jahrhundert. Also die Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau stand immer unter Verdacht. Das konnte man sich nicht so richtig vorstellen. Was ging, war, wenn beide Parteien verheiratet waren? Also es war schwierig, aber möglich her, so vielleicht.

Christoph:
[26:48] Sie zitiert dann Kants Definition einer moralischen Freundschaft, denn dort geht es darum, dass das völlige Vertrauen zweier Personen in wechselseitiger Öffnung ihrer geheimen Urteile und Empfindung zueinander besteht. Also es ist schon viel Pathos dabei auf jeden Fall. Aber ich habe schon gesagt, Freundschaft hatte in der Zeit Hochkonjunktur im 18. Jahrhundert und am Anfang des 19. Jahrhunderts.

Christoph:
[27:15] Und was natürlich, was wir heute auch noch kennen, jetzt vielleicht mehr unter dem Begriff der Wahlverwandtschaft, ist so ein bisschen, das ist ja völlig logisch, aber Freundschaften waren halt anders als familiäre Beziehungen handverlesen. Ist ja klar. Und deswegen konnte man da besonderes Vertrauen reinsetzen. Und die Frage danach, wem man was anvertraut, hat auch die Hierarchie in den Freundschaftsbeziehungen stark mitbestimmt. Also wer die engsten Geheimnisse, tiefsten Geheimnisse kannte, der war quasi ganz oben. Das bedeutet natürlich aber auch, dass FreundInnen sehr viel Macht bekommen haben, weil man natürlich dann Geheimnisse hat, die man verraten kann. Ich weiß nicht, was die Leute damals alles getrieben haben, dass man so unfassbar viel Geheimnisse hatte, aber das scheint wichtig gewesen zu sein. Man kann natürlich der vertrauenden Person schaden und macht sich damit verletzlich. Sie geht da auch noch mal auf das ganze Thema Kameradschaft ein. Also gerade jüngere Menschen sehnten sich nach Wärme und Aufgehobensein im Kreis gleichgesinnter Freunde. Und dann gab es auch diese bündischen Bewegungen und den Kameraden, da hat man fest vertraut. Deswegen nennt man sie ja dann auch Bundesbrüder, wie in der Familie.

Christoph:
[28:29] Aber es ist ein bisschen die Frage, ja, vertraut man dem Konzept des Bundes quasi, in dem man da ist, Studentischer Bund oder was auch immer, oder vertraut man eigentlich den konkreten Personen? Und da kann man natürlich schon differenzieren. Und ja, genau. Und Helmut Plessner hat auf jeden Fall damals gewarnt vor zu großer Nähe und Vertrautheit in diesen Strukturen, weil man da so einen, also er hat da einen Radikalismus der Gemeinschaft sowohl auf kommunistischer als auch faschistischer Seite erkannt und damit dann ja auch recht behalten, muss man sagen. Da wächst dann nicht nur Gutes drauf, so historisch. Auf den Punkt gebracht, dass was ich gerade eben meinte, ist, wenn man in so einem NS-Schulungslager zum Beispiel ist, dann ist das natürlich Kameradschaft, die man da erlebt. Und das ist eben gerade nicht das Ergebnis einer freien, selbstbestimmten Entscheidung. Also man ist Mitglied einer Gemeinschaft, aber ist da natürlich irgendwie zwangssozialisiert. Man kann ja nicht so richtig gut daraus machen.

Christoph:
[29:35] Ja, und die Verhältnisse erfordern halt, dass man diesen anderen Menschen vertraut. Über die Pädagogik haben wir schon ein bisschen gesprochen. Die wird dann nochmal zum Thema. Und ab dem 18. Jahrhundert wird, sagt sie, avanciert Vertrauen zu einer sozialmoralischen Allzweckwaffe. Das fand ich irgendwie ganz schön. Und es setzt sich die Vorstellung durch, dass Vertrauen eben nicht vom Himmelfeld, sondern gelernt, erprobt und erzogen werden muss. Das, was ich gerade eben schon mal meinte. Und entsprechend waren auch die LehrerInnen als VertrauensbildnerInnen gefordert. Und sie geht dann nochmal explizit, das würde ich jetzt aber ein bisschen ausklammern, auf die Probleme in den Reformschulen, sowas wie der Skandal um die Odenwaldschule, ich weiß nicht, ob der bei euch in der Schweiz so angekommen ist, darauf geht sie nochmal ein, also vor allen Dingen Vertrauensmissbrauch durch LehrerInnen und die Kirchen hat sie jetzt nicht mit drin, da würde ich das aber auch so sehen. Da gab es ja auch in beiden großen deutschen Konfessionen auf jeden Fall Missbrauchsskandale. Und sie spricht da über Gerold Becker von der Ohnenwaldschule nochmal explizit. Also sie hat das Thema Missbrauch von Vertrauen in Machtbeziehungen auf jeden Fall in dieser pädagogischen Komponente mit drin. Ja.

Christoph:
[30:56] Die Erfahrungen aus der NS-Zeit und mit dieser Überspitzung des Vertrauens führen zumindest kurzfristig zu einer Abkehr von dem Vertrauensbegriff und man hatte in den 1960er Jahren so ein bisschen die Hoffnung auf eine demokratische Schule in einer demokratischen Gesellschaft, bei der man eben Vertrauen als Leitbegriff so ein bisschen verabschiedet hat. Das währt aber nur kurz, weil dann gesagt wird, naja, ihr habt Vertrauen irgendwie rausgeworfen und jetzt vertraut ihr in nüchterne Daten und nicht mehr in höhere Ideale. Und das kehrt dann doch rechtzügig wieder zurück in die Bildungsagenda und das Ziel der humanen und sozialen Erziehung, auch so humboldtsches Bildungsideal und so, das haben wir ja zumindest hier im deutschsprachigen Raum stark und von daher findet keine richtige Verdrängung davon statt. Ja, das ist so das, was sie zum Themenkomplex Freundschaft, Pädagogik, andere zwischenmenschliche Beziehungen als Ehe zu sagen hat.

Amanda:
[31:58] Darf ich kurz nachhaken? Natürlich. Wenn du sagst, die Lehrpersonen waren dafür zuständig, das Vertrauen zu bilden oder Menschen dafür auszubilden. Was ist denn da genau mit gemeint? Also Vertrauen in wen?

Christoph:
[32:18] Also, ich glaube erstmal die Kompetenz, vertrauen zu können in andere Menschen, das ist so das eine ganz Zentrale. Dann das Vertrauen da rein, dass einem vorgesetzte Personen, wie zum Beispiel eben BildnerInnen, vertrauenswert sind, kann man das so sagen? Also ich glaube, es geht darum, die Grundkompetenz, diese Idee von, ein Mensch ist nur dann eine gelungene Persönlichkeit, wenn er oder sie vertrauen kann, dass man das entwickelt, dass man das herstellt. Und dazu zählt eben in dem ersten Schritt, dass man dem Lehrer, der Lehrerin stark vertraut und darauf vertraut, dass der Weg, den diese Person für einen einschlägt, schon der richtige ist. Das ist, glaube ich, so gemeint, ganz zentral. Ergibt das Sinn für dich?

Amanda:
[33:05] Ja, ich finde das nur interessant, weil ich hätte das nie sozusagen im Schulsystem verortet, sondern immer in der Familie. Also zu lernen, jemandem vertrauen zu können, hätte ich primär in der Familie gesehen.

Christoph:
[33:16] Ja, ich meine gerade bei den Reformschulen, bei denen das ganz stark war, das sind natürlich auch häufig Internatsstrukturen gewesen. Das muss man vielleicht dazu sagen.

Christoph:
[33:25] Grundsätzlich ist es aber auch ein allgemeines erzieherisches Ideal gewesen. Also es ist schon auch in der Familie verortet, aber eben nicht nur. Kommen wir zur Wirtschaft. Also das ist natürlich ein gewisser, ja, wir kommen richtig in die Moderne, also wir haben den Siegeszug der Konsumgesellschaft und in der Konsumgesellschaft ist Vertrauen die Leitwährung. Also einerseits aus einer Konsumentinnenperspektive, aber auch aus Betriebsperspektive. Die Zeiten… Indem man nur, oder die meisten Menschen nur lokal mit Menschen gehandelt haben, die man eh kannte, oder zumindest eine Person, die man kannte, kannte die nächste Person, sind dann irgendwann endgültig vorbei und das heißt, die ersten Ratingagenturen, sowas wie Moody’s, reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück oder auch die, ich weiß nicht, ob du die Schufa kennst, das ist hier in Deutschland eine Agentur, ich habe vergessen, wofür die steht.

Christoph:
[34:15] Im Prinzip hat jede deutsche Person, es gibt eine Erhebung über die Kreditwürdigkeit dieser Person und das läuft bei dieser Privatorganisation zusammen. Also wenn du irgendwo etwas, wenn du eine Wohnung mieten möchtest, dann musst du immer eine Schufa-Auskunft mitbringen und die erfassen im Prinzip, welche Verträge bei dir laufen, wie viele Girokonten du hast, wie deine Zahlungszuverlässigkeit ist und dann kriegst du so einen Score und den musst du immer mit einreichen. Und auch bei allen möglichen Transaktionen über irgendwelche Rechnungssysteme billigst du auch immer zu, dass eine Schufa-Abfrage über dich läuft. Ja, das haben wir hier in Deutschland. Ist schon so datenkrakenmäßig relativ gruselig, ehrlicherweise.

Amanda:
[35:01] Ja, finde ich auch. Bei uns ist das einfach das Betreibungsregister. Da musst du immer einen Auszug beilegen, aber sonst gibt es das ja nicht in dieser Form.

Christoph:
[35:09] Ja, vielleicht besser. Also dafür, dass wir Datenschutz hier immer so hochhalten, gibt es durchaus Kritik dran.

Christoph:
[35:22] Genau, es gab so die ersten, habe ich schon gesagt, im 19. Jahrhundert ging das eben los mit den ersten Büros, die irgendwie Karteien darüber geführt haben, welche Personen oder welche Betriebe auch wie zahlungszuverlässig sind. Und das blinde Vertrauen verschwindet halt bei hochgehender Konjunktur, sondern man möchte schon irgendwie Kenntnis haben, weil nicht jeder Betrieb eben Siemens ist. Wenn du wusstest, du hast Siemens als Auftragnehmer, dann ja, das wird schon gut gehen. Und wenn du bei Tante Emma bist, die kennst du auch schon und kaufst da einen, das ist auch kein Problem. Aber wenn du bei irgendwas dazwischen kaufst, irgendeinem mittleren Betrieb, den du halt nicht kennst, schwieriger. Ja. Traditionelle Geschäftsbeziehungen haben schon aber starke familiäre Wurzeln. Also zum Beispiel die Rothschild-Familie hat es so gemacht, dass der Patriarch da quasi seine Söhne in die Bankhäuser der verschiedenen Städte gesteckt hat. Auch Werner Siemens hat seine Brüder auf Niederlassungen angesetzt. Also da ist noch so eine starke familiäre Verstrickung mit drin. Und man leiht sich auch unter Freunden lange wohl, nicht unbedingt Geld, sondern auch bei schlechten Familienbeziehungen fragt man in der Familie nach Geld. So richtig klar wird mir nicht, woran das liegt aber vielleicht waren die.

Christoph:
[36:50] Ja, war die Kontrolle da doch nochmal strenger als in Freundschaften, ich weiß es nicht genau aber ja, Freundschaften waren es auf jeden Fall nicht da, die dienten nämlich höheren und idealen Zwecken und nicht sowas profan wie Kate, das fand ich noch ganz spannend sie sagt nicht so richtig, wann sich das ablöst oder ob sich das überhaupt ablöst, wäre vielleicht auch nochmal eine spannende Frage, wie das heute ist ich weiß das gar nicht so genau aber, Ja, es gab dann irgendwann die ersten Kreditgenossenschaften, sowas wie Reifeisen hier in Deutschland oder ein anderer Betriebe war wohl Schulze-Delitz. Das war dann häufig im Land, also auf dem Land, so Bauerngemeinschaften, die irgendwelche Anschaffungen finanzieren mussten. Und das war eben genossenschaftlich organisiert und das hat stark darauf basiert, dass immer jemand jemanden kannte, spätestens wenn jemand nach Kredit gefragt hat, der diese Person kannte und wusste, naja, der Bauer Müller, das passt schon, sagt Bauer Meier, keine Ahnung, so ungefähr. Und man hat natürlich so eine gemeinsame Haftung, das heißt, man ist auch relativ streng miteinander, also da ist es nicht so besonders freundschaftlich, aber die umfassende soziale Durchleuchtung und der kollektive Erwartungsdruck waren essentiell, damit es funktioniert und das Raiffeisensystem, also ich meine, das Buch ist fünf Jahre nach der großen Finanzkrise erschienen, war damals hoch gelobt, das gibt es auch immer noch hier in Deutschland, auf jeden Fall, dieses Genossenschaftliche.

Christoph:
[38:20] Und die haben stark damit geworben, zumindest in der Zeit, jetzt 2013, dass Nähevertrauen schafft. Dadurch, dass man irgendwie noch so einen Bezug zueinander hat, da geht dann Vertrauen langsam in diese Bankenwerbung oder Kreditwerbung mit ein. Obwohl Kredite und Vertrauen ursprünglich mal semantisch nicht verknüpft waren. Also man hat nicht unbedingt um das Vertrauen der Kunden geworben, sondern mehr Verlässlichkeit war eher der Begriff, den man genommen hat und das hat sich dann irgendwann geändert. Also die Deutsche Bank zum Beispiel hat das dann als Werbeslogan für sich entdeckt und wirbt ganz viel mit Vertrauen. Das hat sich irgendwann differenziert. Und ja, also die Unterscheidung zwischen sich vertrauen und sich aufeinander verlassen war offenbar mal stärker. Ich würde sagen, die kennen wir heute nicht mehr ganz so stark. Also ich finde, man kann, wenn man darüber nachdenkt, die Differenz noch ziehen, aber sie ist eher nicht so verbreitet, wäre so mein Argument.

Amanda:
[39:21] Ja, ich finde das interessant, auch in Bezug jetzt auf, ich meine, das Buch ist vor ein bisschen mehr als zehn Jahren erschienen und jetzt schwindet ja auch auf dem Finanzplatz extrem das Vertrauen, zum Beispiel in eine Leitwährung wie dem Dollar oder auch eben in wie ein Markt funktionieren kann, was man macht und was man nicht, welche Zölle man erhebt und welche man eben nicht erhebt. Und das finde ich schon auch spannend, weil ich glaube, dass so viele Dinge basieren tatsächlich auf Vertrauen, auch ich sage mal blind ist wahrscheinlich das falsche Wort, aber Vertrauen auf unausgesprochene Gesetze, wie Dinge funktioniert haben in den letzten Jahren und plötzlich wird das alles ein bisschen erschüttert.

Christoph:
[40:03] Ja, das stimmt. Bin ich, glaube ich, bei dir. Ja. Sie geht dann auf das ganze Thema Marketing, Verbraucherschutz und so weiter ein. Also da 1939 erscheint das Lehrbuch der Markentechnik und dort wird das erste Mal, sagt sie zumindest, oder da hat sie es gefunden, dafür geworben, dass man doch vielleicht auf öffentliches Vertrauen setzen sollte, wenn man eine Marke hat, die man präsentiert. Und das ging dann auch los. Also in der Zeit hat Omega, hat dann irgendwann den Werbespruch gehabt, also diese Uhrenmarke, Omega hat das Vertrauen der Welt, Nescafé hat geworben mit Vertrauen Sie Nescafé, sehr originell auf jeden Fall. Und da geht es dann so langsam los und was wir dann auf der anderen Seite nochmal haben, ich weiß gar nicht, wie das bei euch in der Schweiz ist, bei uns gibt es hier die Stiftung Warentest, die ist für Kaufentscheidungen, glaube ich, relativ wichtig, die testen alles von Waschmaschinen zu… Kaffeemaschinen über, also sie testen wirklich alles, was man so an Haushaltsprodukten haben kann. Ich weiß nicht, ob ihr da so eine, habt ihr ein vergleichbares Institut?

Amanda:
[41:14] Ja, bei uns gibt es einfach, das ist, ich glaube, das ist nicht ein Institut, aber es gibt so eine Publikation und auch im Schweizer Fernsehen gibt es auch so Sendungen, die das machen, also die so Tests machen. Aber was mir hierzu einfällt, ist, ich habe letztens gelesen, es gab in den USA eine Behörde oder ein Institut, das bis in die, ich glaube, in die 50er oder 60er Jahre hinein genau das gemacht hat. Also sie haben eigentlich Verbrauchergüter getestet und dann Empfehlungen rausgegeben, was funktioniert. Also ganz banale Dinge wie diese Seife oder dieses Abwaschmittel oder diese Oberfläche und so weiter. Und das war staatlich. Und der Staat hat sozusagen ein bisschen eine Kontrolle auch auf den Markt ausgeübt und gesagt, hey, eure Produkte funktionieren oder funktionieren nicht mehr. Und das wurde natürlich dann im Zuge der ganzen Deregulation, wurde das alles abgefräst. Und ich finde das interessant, weil du hast ja gesagt, diese Marken, also dieses Vertrauen in Marken, das wurde dann wahrscheinlich zeitgleich mit aufgebaut. Also plötzlich mussten Konsumentinnen, konnten nicht mehr auf eine objektive Institution vertrauen, die dir sagt, das funktioniert das nicht, sondern die Marken selbst mussten jetzt irgendwie dieses Vertrauen sich erkaufen, erarbeiten.

Christoph:
[42:30] Das ist interessant, ja.

Amanda:
[42:35] Und weil auch das Vertrauen in die staatlichen Institutionen, insbesondere in den USA jetzt, was man auch so hört, ist ja auch sehr stark zurückgegangen. Also das kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass der Staat dir sozusagen vorschreiben würde, was du jetzt in deiner Küche rumstehen haben solltest und was nicht.

Christoph:
[42:50] Ja, das ging tatsächlich aus einer jetzigen Perspektive ein bisschen absurd. Ich habe gerade nochmal bei der Stiftung Warentest nachgeguckt und ich hatte es so im Ohr, aber sie hat einen staatlichen Auftrag, vertreten durch den Bundesminister für Wirtschaft und ist durch Steuermittel gefördert. Also ich weiß nicht, ob komplett dadurch, nee, sie kann nicht komplett dadurch finanziert sein, weil man auf jeden Fall Tests kaufen muss, wenn man sie freischalten möchte, aber das ist schon spannend. Also sie ist hier auf jeden Fall von staatlicher Seite stark unterstützt, mindestens. Ja, ich glaube, ein funktionierender Staat ist total wichtig, damit es, also ich glaube vor allen Dingen funktionierende Infrastruktur ist in meinen Augen der Hebel, mit dem man so politische Verwerfungen am ehesten bekämpfen kann. Also so Rechtsruck und all das, was dazu gehört, das ist so meine These.

Christoph:
[43:46] Ich hoffe, dass ich damit richtig liege. Also wir in Deutschland haben ja gerade für unsere Verhältnisse sehr viel Schulden aufgenommen oder werden sie aufnehmen, um das in Gang zu kriegen und die Infrastruktur wieder auf Vordermann zu kriegen. Und wenn das nicht reicht, um die politischen Extrembewegungen einzudämmen, dann bin ich langsam ein bisschen ratlos, glaube ich. Also ich hoffe, dass das klappt. Na ja. Heute sieht die Welt natürlich nochmal ein bisschen anders aus. Also Rating- und Zertifizierungsagenturen kennen wir, glaube ich, alle aus beruflichen Kontexten. Zertifikate, damit man Vertrauen ausstellen kann, kann man sich ins Praxiszimmer hängen oder in jede Organisation, sind, glaube ich, ganz normal. Wir kennen heute natürlich aber auch den Konsumenten, die Konsumentin als Bewerter. Also das ist natürlich auch nochmal ganz neu und die sind zwar offensichtlich nicht objektiv, sondern sehr subjektiv, aber die gemittelte Bewertung macht dann ja viel aus bei Kaufentscheidungen. Also ich weiß zumindest, dass sie für mich relativ relevant sind, auch wenn ich weiß, dass die häufig fingiert, untergraben, gefakt und alles sind. Mein Gefühl dazu ist auf jeden Fall wohlig. Wenn alle sagen, das ist toll, dann vertraue ich dem und mir geht es gut damit. Und so ganz falsch liegt man ja häufig dann doch auch nicht. Also das finde ich ist schon nochmal spannend. Ja, dann geht sie nochmal auf die Politik ein, also Vertrauen als Grundlage moderner Verfassungsstaaten.

Christoph:
[45:15] Da gibt es so eine…

Christoph:
[45:19] Ja, doppelte Vertrauensfunktion, also Zitat, in dem Maße, wie sich moderne Verfassungsstaaten entwickeln, gewann Vertrauen als Argument und Ressource Bedeutung, also es ist beides ein bisschen, also es ist ein Argument für den Staat, aber auch eine Ressource, um überhaupt Vertrauen, also Vertrauen, würde ich sagen, reproduziert sich ja auch ein Stück weit selber.

Christoph:
[45:43] Und, dann, ja, also wo fangen wir an? Vielleicht wieder im 18., 19. Jahrhundert, wie die ganze Zeit schon. Da haben wir so die Idee des Landesvater-Modells noch, also der Fürst ist der Landesvater und die Untertanen sind seine Kinder unter väterlicher Führung und da geht es los, dass irgendwie im 18. Jahrhundert das erste Mal ans Vertrauen appelliert wird, also an dieses väterliche Vertrauen. Das beste Ansehen der Regierung ist dasjenige, das aus Liebe und dem Vertrauen des Volkes entspringt. Das wurde 1759 gesagt. Und davor war es noch so, dass Treue und Gehorsam verbunden mit Liebe wichtiger waren. Also das ist dann irgendwann im 18. Jahrhundert so ein bisschen gekippt. Also da auch wieder die Differenz zwischen Treue und Vertrauen. Also du bist halt geboren, du lebst in diesem kleinen Staat, du hast treu zu sein und das ist es. Es wird sich schon gekümmert. Und dann später wird ein bisschen, ich würde sagen, ein Unterschied zwischen Vertrauen und Treue ist schon, dass Vertrauen ein bisschen mehr gedankliche Eigenleistung voraussetzt. Treue scheint mir blinder zu sein in der Gefolgschaft auf jeden Fall. Und die Französische Revolution ist dann natürlich ein Wendepunkt, also 1789. Ludwig der 16. nahm die Revolution als flagganten Treuebruch wahr. Das tut mir natürlich ganz doll leid für ihn, aber es gab sicherlich auch gute Gründe.

Christoph:
[47:09] Und das erste Mal haben, oder vielleicht vermutlich nicht das erste Mal, aber in der Breite haben die Herrscher das erste Mal um ihren Thron gebangt und konnten ihrer Bevölkerung nicht mehr so richtig vertrauen, also vielleicht aus der Sicht mal betrachtet.

Christoph:
[47:26] Und die Treue zum Staat oder zum Staatsoberhaupt war immer weniger Pflicht und mehr eine Eigenschaft, eine Einstellung oder auch eine persönliche Haltung, also eine Frage der Verhandlung. Wie treu bin ich eigentlich meinem Kaiser, meinem Fürsten, wem auch immer ergeben? Da kommt so langsam auf, dass Menschen da eigene Positionierungen zu haben können und dass das nicht mehr einfach vorausgesetzt werden kann. Ja, dann in der preußischen Nationalversammlung machte das Wort des Vertrauensstaates dann das erste Mal die Runde. Also das Zutrauen, wird da 1808 gesagt, veredelt den Menschen, ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen. Also man entwickelt auch eine andere Positionierung gegenüber den eigenen Bürgern. Damals natürlich Frauen noch nicht mit gemeint, sondern es ist ein bisschen die Hoffnung, dass wenn man ihnen vertraut, man vielleicht eigenständigere, cleverere, staatsbewusstere Menschen am unteren Ende quasi erzieht. Und wenn man die ganze Zeit nur von oben herabdiktiert, dann hat man da natürlich keinen besonders mündigen Gegenüber bei sich.

Christoph:
[48:43] Ja, und ja, die Kaiser, die sind auf jeden Fall, die haben da so ein Thema mit, die deutschen Kaiser, die appellieren ganz häufig an das Vertrauen des eigenen Volkes zum Kaiser. Und dann hat man natürlich so monarchisch treuergebende Menschen, die das auch total toll finden, aber sie sind dann auch so ein bisschen sehr verletzt, wenn sie das Gefühl haben, das Volk vertraut ihnen nicht mehr so, wie es das sollte. Das fand ich irgendwie nochmal spannend, so zu lesen, weil man erkennt so langsam, dass das monarchische Prinzip an Anerkennung verliert. Also das wird daraus deutlich. Willem der Erste wurde nach zwei Attentaten 1878, hat er gesagt, dass sein Vertrauen auf die alte preußische Treue merklich erschüttert war. Kann ich verstehen. Wenn man zweimal ermordet werden soll, dann vertraut man vermutlich seinen Untertanen nicht mehr so richtig. Aber dass es dafür vielleicht auch Gründe für gibt, das scheint den Herren nicht so sehr klar gewesen zu sein.

Christoph:
[49:55] Und Wilhelm II., also der letzte deutsche Kaiser, der dann 1918 zum Ende des Ersten Weltkrieges abgedankt ist, wenn ich jetzt nicht völlig falsch bin, hat sich auch in so einer Demutsgeste immer als treuen Fürsten eines treuen Volkes präsentiert. Also da steckt dann natürlich auch viel Appell drin, man macht sich selbst ein bisschen kleiner, als die eigentliche Rolle vielleicht ist, also man dient dem eigenen Volk, man ist dem so treu ergeben, also schon irgendwie in der ganzen Rhetorik finde ich ein bisschen albern. Und so Leute wie Bismarck haben durchaus auch gesagt, dass der deutsche Patriotismus einer Vermittlung dynastischer Anhänglichkeit bedarf. Also da gab es schon noch irgendwie den rhetorischen Konnex und den Glauben daran, dass das deutsche Wesen das auf jeden Fall benötigt und so eine Dynastie auch braucht. Das finde ich irgendwie sehr, sehr merkwürdig.

Christoph:
[50:59] Und dann mit dem demokratischen Neuanfang ab 1918 in Deutschland, also der Weimarer Republik dann bis 1933, ist dann die große Vertrauensfrage gestellt, die das alte Deutschland an das neue Deutschland richtet. Also kann man sich noch auf den eigenen Staat verlassen, auch wenn es davor irgendwie schlecht gelaufen ist. Und in den Verfassungsdebatten zu der Zeit war von Vertrauen wohl offenbar auffällig häufig die Rede, sagt Frewert.

Christoph:
[51:28] Und es wird so langsam klar, dass es Vertrauen nicht bedingungslos gibt, also der Unterschied zwischen Treue und Vertrauen, sondern es muss gebildet und aufgebaut werden und es braucht so eine Kette an positiven Erfahrungen, damit Menschen dem Staat vertrauen können und, es ist dann nicht mehr so sehr die riskante Vorleistung, die ich am Anfang mit Newman zitiert habe, sondern es wird klar, dass Vertrauen so ein Teil und das Ergebnis von demokratischen Prozessen ist, Also, dass man sich Vertrauen auch erarbeiten kann und das auch notwendig ist. Man hatte ein bisschen die Hoffnung, dass man in der Präsidialdemokratie der Weimarer Republik mit der Direktwahl des Staats überhaupt so eine grundsätzliche persönliche Verbindung herstellen konnte zwischen Volk und dann eben Präsident. Der Korb war ja auch ziemlich mächtig.

Christoph:
[52:16] Und Hindenburg war dann natürlich auch so ein sehr alter Präsident, der sich selbst als Held und Retter Deutschlands dargestellt hat und so eine väterlich-großväterliche Ausstrahlung hatte. Ja, und da wird dann so langsam klar, schreibt Fribert, dass so eine Führersehnsucht in den 1920er Jahren auf jeden Fall weit verbreitet war. Also eine Person, die leitet und der man hinterherlaufen kann. Ja, und Hitlers Machtübernahme ist dann, ja, sollte eine Vertrauensdiktatur werden. Ob das so geklappt hat, sei man dahingestellt. Aber die Nazis skizzieren Vertrauen dann auch als seelische Grundkraft und Substanz der Volksgemeinschaft.

Christoph:
[52:59] Das ist irgendwie, ja, also es ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema für das Regime, was natürlich irgendwie ein bisschen konträr dazu ist, also so sicher sich das Regime präsentiert hat, so intensiv hat es gleichzeitig so eine Politik des Verdachts tatsächlich gelebt. Also es ist ja jetzt nicht so, als wäre, als hätte, oder es geht vermutlich für Regime im Allgemeinen, man soll ihnen stark vertrauen, aber das Vertrauen bringen sie jetzt nicht unbedingt ihren BürgerInnen entgegen. In der DDR wird es dann im Prinzip ein Stück weit weitergeführt, nur vertraut man da nicht mehr dem Führer, sondern halt der Partei.

Christoph:
[53:38] Und in der Bundesrepublik wiederum auf der anderen Seite im Nachkriegsdeutschland, weicht diese gefühlsbetonte politische Sprache, die wir bis dato kannten, einem Pathos der Nüchternheit. Also man appelliert stark an den mündigen Bürger und die lebendige Demokratie, basiert halt auf ihnen, wird immer wieder stark gemacht. Und da wird dann auch mal gesagt, dass ein gehöriger Schuss Misstrauen auch zu einer funktionierenden Demokratie gehört. Das finde ich einen spannenden Wandel auf jeden Fall. Die Instrumente des Misstrauensvotums und der Vertrauensfrage, das wissen die deutschen HörerInnen vermutlich haben wir hier in Deutschland zwar, aber sie sind nur selten zum Einsatz gekommen. Also man benutzt die eigentlich nur in Ausnahmefällen. Jo, die Wahlkämpfe verändern sich dann natürlich auch, also die CDU, also die konservative Partei bei uns wirbt einmal mit Mut, Glauben und Vertrauen und die SPD, also die Sozialdemokraten machen das dann auch.

Christoph:
[54:39] Auch Schröder zum Beispiel 2005 hat geworben, mit gute Politik schafft mehr als Tatsachen, nämlich Vertrauen. Und ja, da ist das natürlich ein schönes Werbewort. Das kann man, glaube ich, dazu im Prinzip sagen. Was vielleicht noch wichtig ist, ist, dass, wenn man sie, sie nennt es die V-Waffe, kann natürlich leicht zum politischen Bumerang werden. Also es ist jetzt nicht so, als würde das, ja, wenn man das übermäßig benutzt, dann wird einem auch schnell nicht mehr geglaubt, weil schon klar ist, dass Vertrauen schnell ein moralisch überfrachteter Begriff sein kann, der sich dann eben ins Gegenteil und ins Misstrauen wenden kann. Ja, genau. Dann kommen wir zum Thema Systemvertrauen und Moderne, würde ich sagen. Also ja, sie sagt, dass moderne, hochdifferenzierte Gesellschaften Systemvertrauen fortlaufend verlässlich herstellen. Das Thema, warum stehen wir morgens eigentlich auf, weil wir schon davon ausgehen, dass der Supermarkt offen hat, dass meine Arbeitsstelle noch existiert, all diese Dinge.

Christoph:
[55:46] Und ich finde, das ergibt auch Sinn und ich finde, das ist ein ganz schöner Gegensatz zu eben diesen Krisendiagnosen, die wir allen Teilen haben, zu sagen, naja, wenn man es quasi on the long run betrachtet, dann kann man den gesellschaftlichen Prozessen, die wir so haben, schon stärker vertrauen, als man das früher konnte. Also finde ich eine angenehm positive Lesart, das gefällt mir ganz gut, weil Institutionen, die wir heute haben, schon ein hohes Maß an Transparenz und Zurechenbarkeit und Kontrolle möglich machen. Also viele öffentliche Prozesse können wir einfach ganz gut durchdringen und verstehen. Und auch so Dinge wie die Zuverlässigkeit des Rechtssystems. Ich meine, wenn es krasse Fehlurteile gibt oder so, dann wird es sehr stark skandalisiert und darüber gesprochen. Und das ist dann natürlich schon auffällig dafür, wie reibungslos an vielen Stellen, auch wenn wir das vielleicht nicht Tag für Tag so direkt wahrnehmen, vieles doch funktioniert.

Amanda:
[56:46] Finde ich einen sehr guten Punkt und ich möchte hier einwenden, dass es nicht überall auf der Welt so funktioniert natürlich. Also ich habe jetzt gerade kürzlich mit einem Rechtsfall auf Kuba zu tun gehabt und da fand ich wirklich erstaunlich, wie intransparent das alles ist. Also du hast keine Chance, nur schon herauszufinden, an welche Behörde du dich wenden musst, mit wem du sprechen kannst, darfst, wer dir welche Informationen geben kann. Und dann ganz banale Dinge, zum Beispiel jemand sagt, man kann auf einem Dollarkonto das in die Währung umwandeln. Und eine andere Person sagt, nee, das geht nicht. Und eine dritte Person sagt, nee, Dollarkonten gibt es gar nicht. Und du kannst, du findest die Wahrheit nicht und du kannst unmöglich dein Vertrauen in irgendeine Institution aufbauen. Du musst auch dir das Vertrauen aussuchen, wem du das schenken willst, unter Leuten, die du eigentlich als deine Freunde bezeichnest. Und das ist mir wirklich vor ein paar Wochen wieder so richtig klar geworden, da leben wir hier, also ich spreche jetzt Deutschland, Schweiz, in einer ganz anderen Gesellschaft. Das ist schon auch ein Privileg, das wir haben, dass wir, wie du gesagt hast, dass das reibungslos und also wirklich ohne Reibung funktioniert.

Christoph:
[58:00] Ja, finde ich einen sehr berechtigten und guten Einwand. Ja, danke. Danke dafür. Sie schreibt nochmal, dass moderne Institutionen eben Zuversicht, nicht Vertrauen ermöglichen. Finde ich, ja, weiß ich nicht genau. Sie möchte auf jeden Fall, also sie, ihr ist diese Trennung als Vertrauen ist was, was zwischen Personen existiert und Menschen. Und dem, was auch immer es ist, was man eben Organisationen und so entgegenbringt, das nennt sie eben Zuversicht. Ich weiß nicht genau, ob ich mit der Differenz so glücklich bin, ehrlicherweise, weil ich glaube, ich würde nicht sagen, ich bin zuversichtlich, dass ich morgen einen Termin in meinem Bürgeramt bekomme, sondern ich vertraue darauf, dass ich einen Termin in meinem Bürgeramt bekomme. Also für mich ergibt es nicht ganz so viel Sinn, glaube ich. Aber sie sieht den genuinen Ort in Beziehungen, die auf Nähe, Intimität und Fürsorge kodiert sind. Im Prinzip hängt das Ganze auch am Begriff der Erwartungssicherheit vielleicht, wenn man es ein bisschen soziologischer formulieren möchte. Aber das sind, glaube ich, Feinheiten. Ja, und damit bin ich am Ende des Buches angekommen.

Amanda:
[59:16] Vielen Dank. Darf ich noch eine letzte Frage stellen? Im TLDL hast du das vom echten Vertrauen erwähnt. War das, was du eben gerade genannt hast? Meint sie das mit dem echten Vertrauen?

Christoph:
[59:28] Ja, ich glaube, das haut hin, ja.

Amanda:
[59:31] Okay. Ja, vielen Dank für diesen Abriss.

Amanda:
[59:41] Ich erlöse dich kurz und erzähl mal, was mir dazu eingefallen ist an Literatur weiterführend. Und zwar, ich werde den Artikel verlinken, was ich vorhin gerade erwähnt habe, mit diesem Housekeeping Institute, The Government for the Good Life. Das ist auf Nömer erschienen. Ich fand das ganz interessant zu lesen, wie man da früher auch auf Institutionen vertraut hat, die einem Empfehlungen gegeben haben. Und dann als Folgen sind wir zwei eingefallen. Einerseits Rules von Lorraine Destin. Da haben wir eine Folge zu gemacht. Und ein anderes ist Epistemische Ungerechtigkeit von Miranda Fricker. Da geht es eben auch darum, wem kann ich vertrauen, also in Bezug auf eine andere Person, wie kann ich, ich fange nochmal von vorne an, was bedeutet es, wenn ich jemandem vertrauen kann in Bezug auf, was diese Person sagt, also was muss gegeben sein, damit ich jemandem vertrauen kann oder will oder darf und auch systemisch, wie sich das entfaltet. Also ich finde, das ist ein sehr gutes Buch, wo es eben darum geht, um das Vertrauen auch in Wissen, was kann man wissen, geht.

Amanda:
[1:00:57] Dann hätte ich ein Buch von Naomi Oreskes, Why Trust Science. Ich finde sie einfach auch eine tolle Autorin, Wissenschaftlerin und da macht sie auch ein Plädoyer dafür, weshalb eben auch so die soziale Komponente von Wissenschaft eben dazu beiträgt, warum man der Wissenschaft eben auch vertrauen kann und soll.

Amanda:
[1:01:20] Und was habe ich mir noch aufgeschrieben? Das letzte, ah genau, das ist ein Sachbuch von Bruce Schneier, das heißt Liars and Outliers und das ist auch schon ein bisschen älter, ich glaube 2012 ist das erschienen und darin geht es eigentlich, es geht wirklich um Vertrauen und auch wie Vertrauen in der Gesellschaft hergestellt wird. Also der Titel meint Liars, Lügner und Outliers, Einzelgänger. Also wie man sozusagen die Gesellschaft zum Funktionieren bringt, obwohl man immer auch Personen hat, die eben da ausscheren. Und was das Sicherheit eigentlich der Mittel zum Zweck ist, um dieses Vertrauen eigentlich herzustellen. Und Schneier ist eigentlich ein Kryptologe und macht da einen sehr interdisziplinären Zugang auf zum Thema, den ich sehr lesenswert gefunden habe. Cool. Und als letzten Tipp hätte ich noch einen Roman und zwar, der heißt auf Englisch, heißt der Trust. Die deutsche Übersetzung ist Treue. Also da sind wir gleich schon in diesem Feld von welches Wort nehmen wir denn? Was meinen wir genau? Das ist ein Buch, das ist vor drei Jahren erschienen, 2022, glaube ich, von Hernan Dias und das hat auch den Pulitzerpreis gewonnen. Da geht es so um, also es ist sehr raffiniert aufgebaut und auch erzählt.

Amanda:
[1:02:42] Die Erzählweise ist wirklich sehr interessant und es geht aber eigentlich um die 20er Jahre und um den Finanzkapitalismus und darin auch um eine Emanzipation einer Frau und das Vertrauen zu ihrem Mann und eben auch ins Geld und in die Finanzmärkte. Also es ist sehr lesenswert. Ich fand es einen sehr guten Roman.

Christoph:
[1:03:02] Cool, Dankeschön. Ich habe an weiteren Folgen noch, wie Gefühle entstehen. Das ist Folge 69 von Lisa Feldman Barrett.

Christoph:
[1:03:12] Ich glaube, weil hier ja auch klar oder hätte klar werden sollen, wie Vertrauen durchaus auch prozedural entsteht. Dann das Buch Verfassungsschutz von Ronen Steinke zum Thema Systemvertrauen vielleicht. Im Grunde gut von Rüdger Brechmann oder wie auch immer man ihn ausspricht. Ist, glaube ich, auch ganz passend. Also Verfassungsschutz ist Folge 80, im Grunde gut ist Folge 83. Dann das Buch aus Folge 89, Arbeiten macht Missbrauch von Lemena Marbacher. Das knüpft natürlich schon vom Titel her an. Und Folge 92 ist Gekränkte Freiheit von Caroline Amlinger und Oliver Nachtwey. Ich glaube, die passen alle thematisch ganz gut. Dann hatte ich schon gesagt, die Habilitationsschrift von Ute Frewart lohnt sich auf jeden Fall. Die heißt Ehrenmänner, Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft ist wirklich erstaunlich spannend dafür, auch wenn man vielleicht kein Historiker, keine Historikerin ist. Dann zum Thema Systemvertrauen auch lohnt sich, glaube ich, ein Stück weit von Stefan Schulz die Kinderwüste, wie die Politik Familien im Stich lässt. Weil man da sicherlich dafür argumentieren könnte, dass Familien, zumindest in Deutschland politisch, nicht genügend beachtet und gesehen werden.

Christoph:
[1:04:32] Weil dann über Krieg und wie man sie beendet von Jörn Leonhardt, da geht es auch ganz viel darum, wie sich Konfliktparteien vertrauen müssen, damit Frieden in Kriegssituationen geschaffen werden kann. Das ist eine ganz wichtige Ressource, ansonsten kommt man über Waffenruhen, Waffenstillstände und so nie hinaus, wenn Gesellschaften kein Vertrauen zueinander schäupfen können oder auch VerhandlungspartnerInnen.

Christoph:
[1:05:02] Dann Niklas Nuhmann ist, glaube ich, soziologisch da. Auf jeden Fall eine feste Adresse, die man im Blick haben muss. Habe ich ja hier auch schon zitiert. Vertrauen, ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Ich selber habe es nicht gelesen, aber wurde mir schon oft empfohlen. Und ein weiterer Soziologe im Interview mit Peter Hafner, glaube ich, ist Sigmund Baumann. Von dem habe ich hier im Podcast Modern und Ambivalenz schon vorgestellt. Da gibt es ein Interviewband, der heißt Das Vertraute unvertraut machen. Lohnt sich total, weil Sigmund Baumann einfach eine sehr, sehr spannende Person war, ja auch sehr, sehr alt geworden ist und da eben interviewt wird und sein Ansatz zur Soziologie auf jeden Fall ist, zu sagen, dass die Dinge, die uns so vertraut erscheinen und die wir für so normal halten, können wir soziologisch nur dann gut betrachten und gut analysieren, wenn wir sie uns eben wieder unvertraut machen. damit wir einen neuen Zugang zu ihnen gewinnen. Ja, das wären meine Empfehlungen.

Amanda:
[1:06:02] Cool, vielen Dank. Ja, bleibt mir zu sagen, ihr findet uns im Internet, im Netz unter www.zwischenzweideckeln.de. Wir sind jetzt auch auf Blue Sky vertreten unter dem Handel at deckeln und auf mastodon unter czd at podcast.social. Wir freuen uns immer sehr, wenn ihr uns Sternchen verteilt oder Rezensionen schreibt. Das erhöht auch unsere Sichtbarkeit. Und ja, danke dir Christoph fürs Vorstellen. Sehr gerne. Und wir hören uns in drei Wochen. Tschüss. Macht’s gut.

Christoph:
[1:06:33] Tschüss.

Music:
[1:06:33] Music

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